Buchautor aus Moers Karikaturen erzählen Geschichte

Historiker Ulrich Schnakenberg ist der Herausgeber von „Deutsche Geschichte in Karikaturen“. 155 Zeichnungen von Fritz Behrendt, Alfred Beier-Red und Horst Haitzinger fassen 70 Jahre Bundesrepublik zusammen.

 Ulrich Schnakenberg präsentiert sein Buch. 

Ulrich Schnakenberg präsentiert sein Buch. 

Foto: Anja Katzke

Ulrich Schnakenberg begeistert sich seit seiner Jugend für Karikaturen. „Ich finde es spannend, wie Zeichner mit wenigen Strichen so viel sagen. Sie verdichten ein ganzes Kapitel eines Geschichtsbuches in nur einem Bild, pointiert und zuspitzend. Karikaturen sind wie Rätsel zu entschlüsseln“, sagt der 44-jährige Historiker. Die Faszination für die „gezeichneten Leitartikel“ in den Tageszeitungen hat ihn seither nicht mehr los gelassen. Sieben Karikaturen-Bücher hat er inzwischen als Herausgeber veröffentlicht, darunter eines über die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt und eines über die Zeit des Kalten Krieges. Das siebte Buch spannt nun einen ganz großen Bogen: Es geht um nicht weniger als die „Deutsche Geschichte in Karikaturen“.

Die Geschichte der Bundesrepublik sei zwar schon oft erzählt worden, sagt Schnakenberg: „Der vorliegende Band unterscheidet sich von anderen Veröffentlichungen zum Thema dadurch, dass er mit der politischen Karikatur eine ebenso authentische wie pointierte Quelle in den Mittelpunkt rückt“, erläutert er in der Einleitung des 175 Seiten umfassenden Buches. Anlass war der 70. Geburtstag der Bundesrepublik. Die neue Buch-Veröffentlichung erforderte einen Vorlauf von fast zwei Jahren: Ulrich Schnakenberg wählte aus einer Sammlung von mehr als 50.000 Karikaturen 155 aus, jede steht für ein Stück Zeitgeschichte. Im Fokus liegen dieses Mal nicht nur die Arbeiten des renommierten, im Jahr 2008 verstorbenen Karikaturisten Fritz Behrendt.

Der Herausgeber hat für seine „Deutsche Geschichte in Karikaturen“ Verstärkung gesucht und diese in zwei weiteren bekannten Karikaturisten gefunden: Alfred Beier-Red (1902 bis 2001) und Horst Haitzinger, der 1939 in Österreich geboren wurde. „Haitzinger ist eine große Bereicherung und ein Meister seines Fachs. Er hat einen guten Witz, und seine Zeichnungen sind äußerst humorvoll. Lange vor Greta Thunberg hat er sich mit dem Thema Umwelt auseinandergesetzt“, sagt Schnakenberg und schwärmt von der bis heute ungebrochenen Schaffenskraft Haitzingers. Er kennt den Karikaturisten, der seine Karriere beim berühmten „Simplicissimus“ begann, nicht persönlich. „Ich habe ihn angeschrieben und mein Anliegen geschildert“, berichtet Ulrich Schnakenberg. Der Karikaturist habe ihm gern seine Unterstützung zugesagt, weil ihm die politische Bildung am Herzen liege, so der Historiker. Eine andere Perspektive auf die deutsch-deutsche Geschichte bietet Alfred Beier-Red. Er habe sich nach 1945 zunächst in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR zu einem der führenden Karikaturisten entwickelt, so der Herausgeber. Beier-Red habe unter anderem für das „Neue Deutschland“, dem Flaggschiff der DDR-Propaganda, gezeichnet. „Die Themen waren vorgegeben, und Kritik nach Innen war nicht erwünscht. Er hat ganz oft in den Westen geschaut, dortige Ereignisse nicht nur überspitzt, sondern auch oftmals verzerrt dargestellt. Er war ein Künstler, mit dessen Aussagen ich nicht übereinstimme, der aber die propagandistische Karikatur schon gut beherrschte. Ich wollte ihn als bekanntesten Karikaturisten der DDR gerne im Buch dabei haben.“ Beier-Red starb im Februar 2001. Sein Nachlass gilt bislang als verschollen. Auch Fritz Behrendt hat Ulrich Schnakenberg nie persönlich kennengelernt. Er nahm erst Jahre nach dessen Tod Kontakt zur Witwe auf, die dem Historiker Zutritt ins mehr als 20.000 Zeichnung umfassende Archiv ihres Mannes gewährte. Fritz Behrendt galt seit den 1960er Jahren als einer der renommiertesten Karikaturisten und zeichnete für führende Zeitungen Europas. „Er war auch für verschiedene amerikanische und sogar japanische Blätter tätig.“

Bei einem Großteil der abgebildeten Zeichnungen handelt es sich um „graphische Leitartikel“, also um Karikaturen, die nicht in erster Linie informieren oder illustrieren, sondern kommentieren, aufklären, kritisieren und Denkanstöße geben wollen. „Sie thematisieren aber nicht nur klassische politische Ereignisse, sondern auch Alltagsthemen in der Bundesrepublik seit 1949. Das Familien- und Scheidungsrecht zum Beispiel“, betont der Historiker, der seit elf Jahren am Gymnasium in den Filder Benden in Moers als Lehrer unterrichtet und die Karikatur in einem reduzierten Maß auch im Unterricht einsetzt. „Man muss Schüler erst an die Gattung heranführen. Sie müssen lernen, dass die Zeichnungen überspitzt und ihre Aussagen immer zu hinterfragen sind.“

Schnakenbergs Streifzug durch die deutsche Geschichte beleuchtet Nachkriegszeit und Kalter Krieg, BRD und DDR, Wirtschaftswunder und Wirtschaftskrisen, Europäische Einigung und Deutsche Einheit, Atomkraft und Nuklearrüstung, Umwelt- und Friedensbewegung, Flüchtlingskrise und Populismus. „Es ist auch die Geschichte der Liberalisierung in allen Bereichen“, erläutert der Herausgeber.

Dass einige Landeszentralen für politische Bildung ein Kontingent seiner neuesten Veröffentlichung übernehme wollen, freut Ulrich Schnakenberg sehr.

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