Fakten & Hintergrund Blindgänger – schlummernde Gefahr

Moers · Im vergangenen Monat jährte sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal. Bis heute bleiben seine militärischen Altlasten eine Gefahr. Erst ein Bruchteil der Blindgänger ist entdeckt und beseitigt worden.

 Oben: Das Aufklärungsfoto zeigt den Moerser Norden nach einem Bombenangriff. Unten sind die Umrisse der Wallanlagen zu erkennen.

Oben: Das Aufklärungsfoto zeigt den Moerser Norden nach einem Bombenangriff. Unten sind die Umrisse der Wallanlagen zu erkennen.

Foto: Stadt Moers

Was haben die Geschwister Scholl Gesamtschule in Meerbeck, die neue Edeka-Zentrale in Utfort und der Kindergarten an der Galgenbergsheide gemeinsam? Richtig, man würde es nicht erwarten, aber auf dem Gelände aller drei wurden bereits Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt. Immer wieder kommt es zu solchen unliebsamen Funden aus der Vergangenheit.

Hauptbombardement auf NRW Die Hälfte aller von den Alliierten im Zweiten Weltkrieg abgeworfenen Bomben gingen auf das Deutsche Reich nieder. Die Hälfte davon traf das heutige Nordrhein-Westfalen. Bis heute belasten daher zahlreiche Kampfmittel das Erdreich. Auch damals schon waren Ruhrgebiet und Rheinland die Industriezentren Deutschlands. „Insbesondere in den städtischen Ballungsräumen, an Verkehrsknotenpunkten und auf der Fläche der damaligen Industrieanlagen finden sich daher heute die Altlasten des Krieges,“ so das Innenministerium NRW.

Auch Moers wurde angeflogen. So wurde Meerbeck aufgrund seiner damaligen Treibstofffabrik bombardiert. Diese synthetisierte kriegswichtiges Benzin aus Kohle. Bei dem Angriff wurden auch benachbarte Stadtteile wie Utfort und Hochstraß getroffen. Die meisten Bomben-Funde entfallen dementsprechend auf diese Stadtteile. Meerbeck erwischte es am stärksten, sodass im Oktober 1944 die Fabrik ihre Arbeit einstellen musste. Insgesamt jedoch kam Moers noch mit einem blauen Auge davon. Wesel, Duisburg und Kleve traf es deutlich stärker.

Unbekannte Menge Wie viele Blindgänger alleine in Moers seit Kriegsende entschärft werden mussten, ist nicht bekannt. „Funde von Bomben und Granaten werden erst seit 2013 von der Stadt statistisch erfasst“, so Stadtsprecher Klaus Janczyk. In den letzten Jahren kam es jedoch zu einen merklichen Anstieg an Funden, so sind seit 2017 über 50 Kampfmittel geborgen worden, was einer Verdopplung zum vorherigen Zeitraum gleich kommt. Der starke Anstieg von 2017 bis 2019 sei durch ein erhöhtes Baugeschehen erklärbar, so Janczyk. Eine positive Überraschung hält das Jahr 2020 hier bereit, es sind bisher keine Blindgänger entdeckt worden.

Bis heute gefährlich Bomben werden nicht ungefährlicher, im Gegenteil, Korrosionsschäden oder physischer Kontakt können die alten Kampfmittel zur Explosion bringen. Der Kampfmitteldienst betont: „Berühren Sie in keinem Fall das verdächtige Objekt, halten Sie Abstand und informieren Sie sofort die Polizei oder das zuständige Ordnungsamt.“ Auch das Innenministerium NRW warnt: „Berühren oder gar Untersuchen verdächtiger Gegenstände kann lebensgefährliche Folgen haben.“

Wer entschärft? Für die Entschärfung, den Abtransport und die Vernichtung, sind Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes (KBD) zuständig. „Eine unmittelbare Beauftragung einer privaten Firma zur Suche nach Kampfmitteln durch den Bauherrn ist rechtlich nicht zulässig“, betont die Bezirksregierung Düsseldorf. Für diese Aufgabe sind zwei Teams des KBD rund um die Uhr in Bereitschaft. Mehr als 1000 mal im Jahr rücken die KBD-Spezialisten des Landes aus, um Kampfmittel zu entschärfen. Der Kampfmittelräumdienst geht davon aus, dass erst ein Bruchteil (16 bis 20 Prozent) der Blindgänger seit dem Zweiten Weltkrieg gefunden wurden.

Auswirkung der Pandemie Damit die Spezialkräfte einsatzfähig bleiben wenn dringende Entschärfungsarbeiten benötigt werden, wurden während der Corona-Krise Entschärfungen, die nicht unbedingt nötig waren, ausgesetzt. Die Arbeiten laufen nun wieder an.

Suche Der Kampfmittelräumdienst wird primär präventiv tätig, heißt es von der Bezirksregierung. So würde bei Erdarbeiten, die tiefer als 80 Zentimeter gehen, eine Luftbildauswertung grundsätzlich Pflicht sein, erklärt Stadtsprecher Janczyk. Eine Kampfmittelüberprüfung finde dann statt, wenn die Bilder eine Belastung nahe legen. Ist das der Fall, kommt ein Magnetometer zum Einsatz. Dieser kann Metall bis zu einer Tiefe von drei bis vier Metern orten. Findet dieser keine Hinweise wird systematisch bis in siebeneinhalb Meter tiefe gebohrt.

Bergung Ist der Kampfstoff lokalisiert wird er frei gegraben um eine Entschärfung zu ermöglichen. Dann erfolgt meist vor Ort die Entschärfung.

 12.05.2016 , MO Moers , Entschärfung einer britischen 5-Zentner Fliegerbombe mit Aufschlagzünder Nummer 30 aus dem zweiten Weltkrieg in Meerbeck.   v.l. Martin Ochmann , Entschärfer Uwe Palmroth

12.05.2016 , MO Moers , Entschärfung einer britischen 5-Zentner Fliegerbombe mit Aufschlagzünder Nummer 30 aus dem zweiten Weltkrieg in Meerbeck. v.l. Martin Ochmann , Entschärfer Uwe Palmroth

Foto: Christoph Reichwein (crei)/Reichwein, Christoph (crei)

Entschärfen bedeutet, dass der Zünder aus der Bombe entfernt wird. Dies kann durch eine Vielzahl an technischen Möglichkeiten erreicht werden. Mit Hand und Rohrzange, mechanisch über eine Seilscheibe oder einem Wasserstrahlschneider sowie pyrotechnisch mittels Treibladung. Welche Methode zum Einsatz kommt, ist abhängig vom Zünder und seinem Zustand. Handelt es sich allerdings um einen „Langzeitzünder“ ist das Objekt höchst sensibel und wird in jedem Fall gesprengt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort