Moers Mit der Straßenbahn in den Tod

Moers · Heute jährt sich die erste Deportation von Juden aus dem damaligen Synagogenbezirk Moers zum 75. Mal. Rund 40 Frauen, Männer und Kinder wurden zunächst nach Derendorf und dann ins Ghetto nach Riga verschleppt.

Genau 68 Menschen jüdischen Glaubens waren Ende November 1941 noch beim Einwohneramt der Stadt Moers verzeichnet. Viele waren bereits nach den Pogromen 1938 geflüchtet oder abgeschoben worden. Von denen, die blieben, erlebte so gut wie keiner das Ende des Krieges; die Nazis verschleppten und ermordeten fast alle. Heute vor 75 Jahren mussten rund 40 Männer, Frauen und Kinder aus dem Synagogenbezirk Moers (dazu gehörten auch Neukirchen- Vluyn, Kamp-Lintfort, Homberg und Rheinhausen) die Reise in den Tod antreten.

In Moers bleiben durften zunächst vor allem hochbetagte jüdische Frauen und Männer. Die meisten wurden im Juli 1942 nach Theresienstadt verschleppt.

Die erste Deportation am 10. Dezember 1941 führte zunächst zum Schlachthof in Derendorf. Er war Sammelpunkt für insgesamt 1007 Juden, auch aus Duisburg, Krefeld und anderen Städten. Von dort wurden die Menschen ins Ghetto nach Riga gebracht.

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit begeht den Jahrestag der ersten Deportation aus Moers an diesem Wochenende. Heute besuchen Mitglieder zusammen mit dem Verein "Erinnern für die Zukunft" den ehemaligen Schlachthof Derendorf. Das Gelände ist aktuell Teil der Hochschule Düsseldorf. Die ehemaligen Großviehmarkthalle dient aber als "Erinnerungsort": Dort wird der insgesamt 6000 jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus dem Regierungsbezirk Düsseldorf gedacht, die sich in der Halle zu insgesamt sieben Transporten einfinden mussten. "Sie wurden registriert, durchsucht und ausgeraubt und mussten eine Nacht in der Großviehmarkthalle verbringen, voller Ungewissheit vor dem Kommenden", heißt es auf der Internetseite www.erinnerungsort-duesseldorf.de. "Am nächsten Morgen wurden sie vom nahe gelegenen Derendorfer Güterbahnhof in Ghettos im besetzten Osteuropa deportiert: nach Lódz, Minsk, Riga, Izbica und Theresienstadt (heute: Terezín). Die Ghettos waren oftmals nur Zwischenstationen auf dem Weg in weitere Konzentrations- und Vernichtungslager."

Von den gut 40 Personen, die am 10. Dezember 1941 aus Moers nach Riga deportiert wurden, überlebten nur zwei Männer, wie Brigitte Wirsbitzki in ihrem Buch "Geschichte der Moerser Juden nach 1933" schreibt. Herausgeber des Buches ist die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Den Juden aus dem Synagogenbezirk Moers war schriftlich befohlen worden, sich vor der Gastwirtschaft Steinschen an der Hülsdonker Straße einzufinden. Von dort ging es mit der Straßenbahn nach Krefeld, dann mit der Reichsbahn nach Düsseldorf und von dort zu Fuß nach Derendorf. "Das Gepäck, mit Ausnahme des Reiseproviantes, wurde auf Güterwagen der Reichsbahn verladen und kam seinen Eigentümern nie mehr zu Gesicht", zitiert Wirsbitzki einen RP-Bericht von 1961. Und sie zitiert eine Augenzeugin dessen, was in Düsseldorf geschah: "Es wimmelte von Gestapo-Soldaten, die befahlen uns, in Reih' und Glied aufzustellen . . . Soldaten sangen: ,Wenn's Judenblut vom Messer spritzt!" Im vollgestopften Deportationszug, in dem das Trinkwasser bald zur Neige ging, fuhren die Moerser Juden am 11. Dezember Richtung Riga, das sie drei Tage später erreichten. Die Menschen wurden mit Peitschenhieben aus dem Zug getrieben, um bei eisiger Kälte ins zwei Kilometer entfernte Ghetto zu marschieren. Dort hatten vorher lettische Juden gelebt. Die Nazis erschossen sie, um Platz zu schaffen.

"Sehr viele Moerser Juden kamen in Riga zu Tode", schreibt die Autorin Brigitte Wirsbitzki. "Entweder wurden sie unmittelbar nach der Ankunft ermordet, starben unter den unmenschlichen Lebensbedingungen oder fielen den regelmäßigen Aussonderungen zum Opfer. Vorher hatten sie bis zur völligen Entkräftung Zwangsarbeit leisten müssen. Einige jüdische Frauen aus Moers wurden im Sommer 1944 von Riga in das Konzentrationslager Stuttgart verschleppt und dort ermordet."

(RP)
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