Moers Kindereuthanasie im Nationalsozialismus

Moers · Westwind-Festival: Das Theaterstück "Das Schutzengelhaus" thematisierte die Zustände in Waldniel, einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung der Nazis in der Nähe von Viersen. Zahllose Kinder wurden dort getötet.

 Chrischa Ohler (rechts) und Sjef van der Linden führten die Besucher in das heute längst verfallene Waldnieler "Schutzengelhaus".

Chrischa Ohler (rechts) und Sjef van der Linden führten die Besucher in das heute längst verfallene Waldnieler "Schutzengelhaus".

Foto: westwind

"Machen Sie sich keine Sorgen! Ihr Kind ist bei uns in guten Händen." Diesen Satz haben im Dritten Reich viele Eltern gehört, als man ihnen ihre behinderten, oft aber auch nur lernschwachen oder besonders fantasievollen Kinder wegnahm, um sie dann als "minderwertiges Leben" zu töten. Die meisten dieser Kinder sind heute vergessen, doch langsam erinnert man sich wieder.

Nachdem das deutsch-niederländische, "Theater Mini Art" aus Bedburg-Hau bereits vor zwei Jahren ein Stück über Kindereuthanasie im Moerser Schlosstheater gezeigt hatte, war es dort am Dienstag mit einem weiteren Stück zum gleichen Thema wieder zu Gast. "Das Schutzengelhaus" hieß das Stück, in dem es um die menschenunwürdige Unterbringung und Tötung zahlloser Kinder in Waldniel, einer kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtung der Nazis in der Nähe von Viersen ging. Unter der Regie von Rinus Knobel entführten dabei die bei den Theatergründer Chrischa Ohler und Sjef van der Linden die Besucher in das heute längst verfallene Waldnieler "Schutzengelhaus" und ließen dabei in wechselnden Rollen die alptraumhaften Geschehnisse jener Zeit noch einmal Revue passieren. "Nun komm schon rein! Hab keine Angst!

Hier ist niemand mehr", fordert dabei zu Anfang eine Frau ihren Begleiter auf, die Bühne zu betreten, Doch der will nicht. "War es hier?", will er mit ängstlicher Stimme hinter der aus mehreren rissigen Wänden bestehen Kulisse wissen. "Ja, hier war es", erkennt er, als er schließlich doch die Bühne betritt. "Ich kann es riechen." "Ja, ich auch", muss seine Begleiterin nach einigem Widerstreben schließlich selber bekennen: "Es riecht nach Kotze, Kacke und Pisse." Im weiteren Verlauf des Stückes schlüpfen die beiden dann immer wieder in andere Rollen. Mal sind sie die untersuchenden Ärzte, die einem an sich pfiffigen Jungen "mangelnde Lernfähigkeit" attestieren und ihn damit zum Tode verurteilen.

Ein anderes Mal sind sie interessierte Beobachter, wie eine Mutter ihre Tochter an eine Krankenschwester in Waldniel übergibt. Und dann wieder erzählen sie gemeinsam die Geschichte einer überforderten Mutter, die den Hilfsbeteuerungen der Ärzte nur allzu gerne glaubt und ihnen ihr behindertes Kind erleichtert überlässt. Dazwischen wurden immer wieder Projektionen von Originalaufnahmen aus der damaligen Euthanasie-Stätte gezeigt und Briefe verzweifelter Eltern verlesen. Ein bewegendes Stück, das zwar schon für Zuschauer ab 14 Jahren gedacht war, dennoch aber auch den meisten älteren Besuchern sicherlich schwer unter die Haut gegangen sein dürfte. Das Thema "Kindereuthanasie" hat auch in Moers eine gewisse Brisanz. Seit knapp einem Jahr beschäftigt sich eine spezielle Forschungsgruppe des örtlichen Vereins "Erinnern für die Zukunft" mit der Aufbereitung von ähnlichen Fällen in der Grafenstadt.

(RP)
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