Kamp-Lintfort Interviews über das Lintfort von früher

Kamp-Lintfort · Vor einem Vierteljahrhundert haben Kräfte aus Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen Lintforter darüber befragt, was sie zu Zeiten der ersten Kohlenförderung erlebt hatten. Seitdem schlummern die rund 100 Aufzeichnungen im Archiv.

 Birgit Kames hofft noch immer, dass sich eines Tages Geschichtsinteressierte melden, die die Interviews bearbeiten und veröffentlichen.

Birgit Kames hofft noch immer, dass sich eines Tages Geschichtsinteressierte melden, die die Interviews bearbeiten und veröffentlichen.

Foto: Dieker

"Die Arbeit von 14 bis 22 Uhr war eintönig, ermüdend und abhängig von der Förderung" – das erzählte in den späten 1980er Jahren eine Frau in einem Interview, das ABM-Kräfte mit ihr führten. Die Frau hatte während des Ersten Weltkrieges 1917 mit 14 Jahren am Leseband des Bergwerkes gestanden. "Die herausgesuchten Steine wurden in einen Trichter geworfen, fielen dann in einen Wagen und kamen auf die Halde oder als Versatz wieder in die Grube. Einmal wurde ich unterhalb des Lesebandes von einem Stein getroffen. Die Wunde wurde von einem Heildiener mit einem Pflaster versehen. Und ich konnte weiterarbeiten." Das Interview mit der Kamp-Lintforterin ist nur eine von rund 100 Gesprächsaufzeichnungen, die im Archiv des Vereins Niederrhein (VN) in Kamp-Lintfort liegen. Sie wurden vor einem Vierteljahrhundert aufgenommen.

"Es begann 1986 und endete 1990", erzählt VN-Vorsitzende Birgit Kames. "Die Idee geht auf Hermann Preuschen zurück, der damals Technischer Beigeordneter war. In den Zeitungen wurde dazu aufgerufen, sich zu melden. Bis zu vier ABM-Kräfte nahmen die Interviews auf." Die Kräfte aus den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) hielten die Gespräche zunächst auf Kassetten fest. Dann brachten sie diese per Schreibmaschine und den ersten Computern in Schriftform.

Themen der Gespräche sind die Geschichten aus dem Leben auf dem Bergwerk, in der Kolonie und auf der Straße, also Themen aus dem normalen Leben, die bis heute kaum in Schriftform veröffentlicht sind. Zeitlicher Schwerpunkt der Interviews ist die Spanne von der Gründung des Lintforter Bergwerkes 1906, auf dem im Sommer 1912 die erste Kohle gefördert wurde, bis zu den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg.

"In den 1980er Jahren wurden ältere Menschen befragt, die mittlerweile verstorben sind", erzählt Birgit Kames. "Deshalb sind die Interviews ein einmaliges Zeugnis."

Die VN-Vorsitzende liest weiter aus dem Interview mit der Frau vor, die am Leseband stand: "Der damalige Schichtmeister hieß Wildmann, hatte einen großen Schnurrbart und wurde allgemein Bär genannt, weil er so brummig war. Wenn er erschien, hatte alles gebebt. Er war sehr genau. Später habe ich auf der oberen Bühne gearbeitet. Die Kohleloren mussten mit reiner Körperkraft gestoppt und auf ein bestimmtes Gleis geschoben werden. Obwohl ich noch so klein war, dass ich gerade über die Loren hinwegschauen konnte, musste ich öfter in Vertretung dabei mithelfen. Der Lohn, welcher in drei Abschlägen gezahlt wurde, reichte nur für das Nötigste des Lebens."

Immer wieder gab es die Idee, die Interviews zu veröffentlichen, die einen Rückblick auf die Zeit vor einem Jahrhundert geben. Das ist bislang nicht geschehen. "Es ist eine riesiger Aufwand, die Interviews auf einem Computer einzutippen und zu redigieren, Angaben zu überprüfen und mit Informationen zu ergänzen", sagt Kames. Die Hoffnung, dass sich jemand findet, der diese Aufgabe übernimmt, hat sie nicht aufgegeben. "Vielleicht kommen mal Geschichtsinteressierte, die die Interviews aufarbeiten und teilweise oder ganz veröffentlichen."

(RP)
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