In Moers kümmern sich Freiwillige um Obdachlose an den Feiertagen Feier im Don Bosco-Haus: Auf der Platte hassen sie Silvester

Moers · Seit 19 Jahren feiern viele obdachlose und einsame Menschen den heiligen Abend im Don-Bosco-Haus. Dafür sorgen die Caritas, der Sozialdienst katholischer Männer und die Pfarrgemeinde Sankt Josef. Doch was kommt nach dem Fest?

 Pfarrer Herbert Werth feierte mit Alleinstehenden und Obdachlosen im Don Bosco Haus Weihnachten.

Pfarrer Herbert Werth feierte mit Alleinstehenden und Obdachlosen im Don Bosco Haus Weihnachten.

Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Tina verbringt das Weihnachtsfest ohne ihre Kinder. Und auch sonst jeden Tag im Jahr. Die 48-Jährige ist heroinabhängig, hat das Sorgerecht verloren. Sie geht regelmäßig zur Methadonvergabe, um nicht rückfällig zu werden. „Sonst lande ich wieder in Haft“, glaubt sie. „Ich klaue dann, um an Geld für die Drogen zu kommen.“ Wenn Tina abends in ihrer kleinen Wohnung sitzt und über dieses Leben nachdenkt, ist der Alkohol da. Einsam sei sie nicht, sagt sie. Da wäre ja noch ihr „Wuffel“. Den Hund hat sie auch zur Weihnachtsfeier ins Don-Bosco-Haus mitgebracht.

Dort sitzt sie am heiligen Abend mit fünf Bekannten aus der Moerser Drogenszene zusammen und genießt ein Festmahl. Es gibt Rindergulasch, Apfelrotkohl, Kartoffelknödel. Zwanzig Helfer von der Caritas, dem Sozialdienst katholischer Männer und der Pfarrgemeinde Sankt Josef haben die Feierlichkeit organisiert. Immer wieder singen die 70 Gäste, unter ihnen einsame, obdachlose oder drogenabhängige Menschen, Weihnachtslieder mit Pfarrer Herbert Werth. Begleitet werden sie dabei von Edith Latz am Klavier. Viele rauchen. Das sei okay, meint Werth. Sogar beim Beten. „Wer kennt denn ein Weihnachtsgedicht?“, fragt er in die Runde und obwohl Tina als Kind jedes Jahr eines aufsagen musste, bleibt sie stumm. „Nein, hör auf, Alter“, ruft ein junger Mann, als sein Sitznachbar auf ihn zeigt. Niemand trägt etwas vor, es wird wieder gesungen: „Oh, Tannenbaum“. Das können alle.

Nur ein Mittvierziger, der vor zwanzig Jahren aus Kasachstan nach Moers kam, tut sich schwer mit dem Text. „Mein deutscher Opa hat mir früher Weihnachtslieder vorgesungen, aber das hier nicht“, sagt er immer wieder in gebrochenem Deutsch zu den beiden Männern neben ihm. Er kennt sie von der sogenannten Moerser Platte. So würden die Treffpunkte der Obdachlosen- und Drogenszene genannt. Die gäbe es zum Beispiel am Bahnhof oder am Kö. „Dort bin ich immer unterwegs, ich lebe schließlich seit acht Jahren im Zelt“, sagt der Kasache. Wenn er mit den Händen gestikuliert, sind die schwarzen und braunen Stellen an seinen Fingerkuppen zu sehen.

„Wir halten es auf der Straße alle aus“, sagt der gepflegte, blonde Mann (49) zu seiner Linken. „Seit ich vor drei Monaten aus dem Knast gekommen bin, habe ich keine Bleibe. Alles war weg – meine Wohnung, meine Freundin, mein altes Leben.“ Seitdem übernachte er regelmäßig bei einem Kumpel. Die drei Jahre im Gefängnis hätten ihn geläutert. „Ich habe dort gearbeitet, mich in meinem ursprünglichen Beruf als Schlosser weitergebildet. Ich war ein vorbildlicher Knasti.“ Doch auch wenn die Karten jetzt neu gemischt seien und er sein altes Leben nicht vermisse – einen ehemaligen Gefängnisinsassen wollen doch die wenigsten Betriebe anstellen. Zuvor war er schon einmal neuneinhalb Jahre „hinter Gittern“. „Wegen der Drogen, war alles Beschaffungskriminalität“, kommentiert er knapp. Die Leute von der Moerser Platte seien jetzt seine Familie. Zum Glück habe er keine Kinder, müsse sich nur um sich selbst kümmern. Als ihn jemand fragt, wie er die kommenden Feiertage verbringe, verlässt er den Raum. Der Kasache sagt: „Ich hasse vier Tage: den heiligen Abend, die Weihnachtsfeiertage und Silvester.“ In diesem Jahr wird er sie alle zum achten Mal im Zelt verbringen.

Tina ist an den Weihnachtstagen nicht einsam, sie feiert mit ihren Bekannten in der kleinen Wohnung. „Das sind die besseren Stunden im Jahr“, sagt sie. Doch nicht nur ihre Kinder werden ihr fehlen, sondern auch wahre Freunde: „Die aus der Drogenszene bleiben Bekannte. Mehr werden sie nie für mich sein.“

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