Digitalisierung: Interview René Schneider In einer Welt aus Nullen und Einsen

Moers · Bei der Autoindustrie, in Schulen, sogar in der Kirche ist Digitalisierung allgegenwärtig. In unserer Serie mit der Volksbank Niederrhein fragten wir René Schneider (SPD): Nehmen uns die Maschinen bald die Arbeit weg?

Digitalisierung: Interview René Schneider: In einer Welt aus Nullen und Einsen
Foto: Dieker, Klaus (kdi)

Renè Schneider, 41, ist SPD-Landtagsabgeordneter und gehört der neuen Enquête-Kommission „Digitale Transformation der Arbeitswelt in Nordrhein-Westfalen“ an. Die Gretchen-Frage: Wie wird die Digitalisierung den Arbeitsplatz von Menschen, aber auch die Wirtschaft in NRW verändern.

Herr Schneider, können Sie sich vorstellen, dass eines Tages nicht mehr Menschen wie Sie im Landtag sitzen, sondern Maschinen mit Künstlicher Intelligenz, die dann die politischen Entscheidungen treffen?

René Schneider: Man sollte generell nichts ausschließen (lacht). In Australien gibt es tatsächlich erste Tests, politische Entscheider zu programmieren. Maschinen, die selbst dazu lernen. Bis sowas ausgereift ist, werden aber wahrscheinlich noch sehr viele Jahre vergehen.

In anderen Bereichen wird es deutlich schneller gehen. Bald könnten autonome Autos auf den Straßen fahren, Sprachassistenten ersetzen in Zukunft wohl die Call-Center und auch in der Industrie wird ständig weiter automatisiert. Hunderttausende Jobs sind bedroht.

Schneider: Wir können diese Veränderungen nicht aufhalten. Die Arbeitswelt hat sich in der Geschichte der Menschheit ständig verändert. Die Frage ist: Haben wir in einigen Jahren mehr, weniger oder genauso viele Arbeitsplätze wie heute? Ich kann Ihnen zu jeder der drei Möglichkeiten eine Studie nennen, die genau diesen Ausgang prognostiziert. Wir wissen einfach nicht, was passieren wird.

Von radikalen Veränderungen haben in der Vergangenheit nicht immer alle gleichermaßen profitiert. Nehmen Sie die industrielle Revolution. Sie war auch der Auslöser der ersten Sozialreformen, weil die Familien der Fabrikarbeiter plötzlich unter katastrophalen Bedingungen lebten. Was machen wir mit dem Lkw-Fahrer, der seinen Job verliert, weil das Fahrzeug irgendwann ohne ihn fährt? Der wird ja dann keine App programmieren.

Schneider: So schnell läuft die Digitalisierung nicht – wir sind ja schon seit Jahren dabei. Es wird sicher noch dauern, bis tatsächlich autonome Lkws über die Autobahnen fahren. Deshalb müssen wir jetzt die Weichen stellen, damit nicht irgendwann plötzlich tausende Leute auf der Straße stehen und die Politik zu spät dran war. Vielleicht wird sich der Beruf des Lkw-Fahrers auch wandeln und nicht ganz wegfallen. Er könnte Waren kommissionieren und am Computer berechnete Auslieferungsrouten mit seinen realen Erfahrungen abgleichen und optimieren helfen. Auf solche Prozesse müssen wir uns einstellen. In der digitalisierten Welt müssen wir ein Leben lang dazulernen. Es wird ständig neues Wissen geben, dass wir uns auf die Festplatten im Kopf schreiben. Dann ist es kein Problem, wenn sich das Jobprofil verändert.

Welche Rolle spielt das „Bedingungslose Grundeinkommen“?

Schneider: Ich habe zum „Bedingungslosen Grundeinkommen“ noch keine abschließende Meinung. Es werden in Zukunft viele Berufe wegfallen und die Politik muss darauf eine Antwort finden. Da könnte das Grundeinkommen eine Möglichkeit sein, damit die Leute nicht hinten runter fallen. Ich fürchte nur, dass diese Diskussion zu oft vom Schreibtisch aus geführt wird. Es wird Menschen geben, die dann keinen Job mehr haben, dafür aber ein Grundeinkommen und die fragen sich: Was mache ich denn jetzt den ganzen Tag? An der Stelle, wo das Grundeinkommen zu einer Entschuldigung wird, einen Teil der Bevölkerung zu Hause sitzen zu lassen, wird die Idee schräg.

Was wäre die alternative Idee?

Schneider: Die hätte ich mir schon lange patentieren lassen, wenn ich die hätte. Ein Ansatz dazu: Es kann nicht sein, dass Unternehmen Prozesse automatisieren und dann Arbeitnehmer entlassen, ohne dass die Gewinne der Allgemeinheit zur Verfügung stehen. Vielleicht müsste man sie verpflichten, das eingesparte Geld anschließend zu investieren, um beispielsweise die Leute, die eine Firma nicht mehr braucht, weiterzubilden.

Der Fortschritt wäre dann nichts mehr wert.

Schneider: Sie sollen einen Teil des eingesparten Geldes ruhig behalten. Unternehmen haben aber auch eine Verantwortung für die Gesellschaft. Das Geschäft funktioniert nur, wenn  die Menschen die Produkte und Dienstleistungen bezahlen können. Wenn es nichts mehr zu tun gibt, kann auch niemand mehr konsumieren. Jeder gute Unternehmer versteht das.

Viele Leute haben das Gefühl, die deutsche Politik gestaltet die Digitalisierung gar nicht aktiv. Die Revolution entsteht im Silicon Valley und hierzulande reagiert man bloß auf den Wandel.

Schneider: Die Leute haben Recht, wir können das nicht vorausschauen steuern und sind gezwungen zu reagieren - möglichst früh natürlich. Politiker erfinden eben selber keine Produkte.

Politiker können aber beeinflussen, wo die Technologien entwickelt werden und den Rahmen dafür vorgeben. Wie sieht es denn in Kamp-Lintfort aus, ihrer Heimat?

Schneider: Die Hochschule Rhein Waal macht viel, was für unsere Region enorm wichtig ist. Stichwort: FabLab und Green FabLab. Dort können Unternehmen neue Technologien in einem völlig offenen Umfeld testen.  Das weckt die Neugier der Firmen und ermöglicht ihnen, Geräte wie den 3D-Drucker oder die CNC-Fräse auszuprobieren, ohne gleich Tausende Euro auszugeben.

Kommen wir zur Landespolitik. Nur acht Prozent der Gewerbebetriebe in NRW sind an das schnelle Glasfasernetz angeschlossen. Ist das nicht peinlich?

Schneider: Der Ausbau, der jetzt gerade staatlich gefördert stattfindet, geht seit Jahren in mehreren Abschnitten vonstatten. Natürlich geht das alles zu langsam, aber wir brauchen die Zeit. Im derzeitigen Bauboom reichen die Kapazitäten kaum. Sie müssen sich mittlerweile fast schon bei den Baufirmen bewerben, dass die Ihnen die Kabel verlegen. „Viel Geld hilft viel“ stimmt da nicht. Die Nachfrage ist mittlerweile so groß, dass die Preise durch die Decke gehen.

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