Spielorte des Pfingstspektakels in Moers Harte Töne und nostalgische Anklänge
Moers · Mit der Reaktivierung des Schlosshofs ist Festivalchef Tim Isfort ein Coup gelungen. Peter Brötzmann begeisterte das Publikum.
Tim Isfort muss in nostalgischer Stimmung gewesen sein, als er sich an die Planung der inzwischen 47. Ausgabe des Moers Festivals gesetzt hatte. Dass er mit Freizeitpark und Schlosshof zwei "historische" Spielorte des Pfingstspektakels reaktiviert hat, damit ist dem künstlerischen Leiter ein Coup gelungen.

Das war das Moers-Festival 2018
Der Auftritt des Saxofonisten Peter Brötzmann auf der Noch-Baustelle im Schlosshof zählte für die 99 Zuhörer, die aufgrund der Baustellensituation Einlass erhielten, sicher zu den Höhepunkten des diesjährigen Festivals. Inmitten der archäologischen Ausgrabungserfolge weckte Brötzmann ein Gefühl dafür, wie es 1972 gewesen sein muss, als das Free Jazz Festival in dem historischen Rund gestartet war. Allein Matsch und Regen fehlten. Tim Isfort versprach: "Nächstes Jahr kommen wir wieder. Und nicht nur für ein Konzert." Peter Brötzmann war übrigens so etwas wie ein Artist in Residence. Später im Programm spielte er mit der Band "Oxbow" zusammen und diskutierte mit anderen Künstlern über Kunst und Politik, über Poesie und Widerstand.
Anleihen an die Festival-Geschichte fanden sich gestalterisch auch in und außerhalb der Festivalhalle am Solimare. In der Konzerthalle ließ Tim Isfort die Bands vor einem Bretterzaun spielen - ebenfalls eine Erinnerung an alte Festivalzeiten, als der "kleine Tim" durch solch einen Zaun gelugt hatte. Auf den Außenwänden waren historische Festivalfotos im Großformat angebracht. Und auch ein bisschen niederrheinische Spießigkeit fand sich wieder.
Das Wiener Trio "Dsilton" trat zwischen Sesseln und angestaubten Stehlampen auf, um dort schließlich einen Klangteppich aus 31-Ton-E-Gitarre, Synthesizer und Schlagzeug zu weben. Ja, und dann war da noch eine ganze Kompanie Gartenzwerge auf dem Festivalgelände unterwegs. Drei waren über Nacht verschwunden. Gestohlen? Da verstand selbst Tim Isfort keinen Spaß mehr. Trotz solcher humorvollen Anspielungen stand die Musik aber im Fokus.
Und leiser ist das Festival mit den Jahren nicht geworden. Das zeigte sich bereits beim Auftritt der ersten Band in der Konzerthalle. Das Quartett "Talibam!" eröffnete das Programm mit treibenden Schlagzeug-Rhythmen und irrwitzigen Saxofon-Läufen zu gleichförmigen Keyboard-Melodien und psychedelisch anmutenden Klängen der Hammond Orgel. Die Musik, die dabei stetig abebbte und erneut anschwoll, gipfelte schließlich in schreienden Saxofon-Klängen, einem regelrechten Schlagzeug-Gewitter und orgiastischen Orgel-Improvisationen. Nach diesem rasanten und virtuosen Auftakt ging es übergangslos mit dem Auftritt der US-Amerikaner von "CP Unit" weiter.
In der Besetzung Saxofon, Gitarre, E-Bass und Schlagzeug wirkte die Musik von "CP Unit" dabei weit bruchstückhafter, wenngleich sich auch hier raue Instrumenten-Soli mit harmonischen Passagen des Zusammenspiels abwechselten. Mit sphärischen Synthesizer-Klängen wurde dann der Auftritt von "Efterklang & B.O.X" eröffnet, für den sich die dänische Indie-Band mit dem Musiker-Kollektiv "B.O.X" zusammengeschlossen hatte.
Während steuerbare Haifisch-Ballons durch die Halle schwebten und ein leuchtender Mond unter dem Hallendach für eine stimmungsvolle Atmosphäre sorgte, verbanden sich die barocken Klänge von Cornett, Viola da Gamba, Harfe und Cembalo mit sanften Gitarren-Akkorden und dem lyrischen Gesang des "Efterklang"-Sängers Casper Clausen zu einer gelungenen Mischung aus Klassik und Jazz.
Die Einflüsse der Klassik ließen sich auch beim Trio "Iverson/Bode/Kis" deutlich erkennen. Gemeinsam mit dem amerikanischen Pianisten Ethan Iverson und der ungarischen Blockflötistin Dodo Kis spielte Josephine Bode als Moerser "Improviser in Residence" auf einer Vielzahl unterschiedlicher Blockflöten Kompositionen, in denen kunstvolle Kadenzen der Renaissance und des Barock ebenso zu hören waren wie heitere Mozart-Anklänge oder Momente kontemplativer Meditation, die einerseits gregorianisch anmuteten und andererseits an die Minimalmusik von Philip Glass, John Cage oder Steve Reich erinnerten.
Im Gegensatz zum Free-Jazz des Sextetts "2000", bei dem sich einzelne Töne, Klänge und Rhythmen kunstvoll zu immer neuen Mustern verbanden, webten die 17 Musiker von "Nate Wooley's Seven Storey Mountain" mit zwei Schlagzeugen, Vibraphon, Gitarre, Violinen und zahlreichen Blechbläsern einen dichten Klangteppich, der sich in einer ungeheuren Anspannung stetig steigerte, bis ein gewaltiger Berg aus Klangvolumen, Kakofonie und Chaos entstanden war.