Neukirchen-Vluyn Grafschafter Piraten trotzen der Flaute

Neukirchen-Vluyn · Beim Stammtisch der Neukirchener Piratenpartei liegt das Grundsatzprogramm neben Jägerschnitzel und Tastenhandy parat. Auch wenn das letze Jahr durchwachsen war: Fettnäpfchen nehmen die Piraten in Kauf für zukünftige Erfolge.

 Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien war ein Hauptthema im "Alt Derp". Rechts: Pirat André Landskron, daneben Jochen Lobnig.

Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien war ein Hauptthema im "Alt Derp". Rechts: Pirat André Landskron, daneben Jochen Lobnig.

Foto: Klaus Dieker

Betritt man die Gaststätte "Alt Derp" auf der Neukirchener Hochstraße, wirkt die Truppe auf der Eckbank des Nebenzimmers wie eine gewöhnliche Abendgesellschaft. Auf dem ausgezogenen Holztisch stehen Getränke und Kerzen, die Anwesenden unterhalten sich angeregt, essen Jägerschnitzel und Currywurst, lachen.

Erst beim genaueren Hinschauen fällt der eine oder andere orangefarbene Anstecker auf den Pullovern ins Auge. Ein großes "P" ist in schwarz darauf gedruckt, dargestellt als ein gehisstes Segel. In der Tischmitte steht ein kleiner Wimpel mit selbigem Motiv. Die Piratenpartei Neukirchen-Vluyn trifft sich zum Stammtisch.

Zu Stammtisch-Leiter und "Oberpirat" Jochen Lobnig haben sich an diesem Mittwochabend nicht nur Neukirchener Parteifreunde gesellt. Zwei Vertreter aus Kamp-Lintfort sitzen mit am Tisch, ebenso Sandra Leurs, eine Piratin aus Krefeld. Auch Heike Lobnig, kein Parteimitglied und des Öfteren anderer Meinung als ihr Mann, gehört der Runde an. Wie an jedem zweiten Mittwoch im Monat treffen sich die lokalen Piraten zum öffentlichen Gedankenaustausch und Diskutieren.

Das Klischee der pickligen Computer-Nerds erfüllen diese 30- bis 50-jährigen Erwachsenen wirklich nicht. Doch Visionen haben sie wie die Jungen: Sie wollen wachsen, etwas bewegen, oben mitreden. Tolle Technik haben sie nicht dabei, nur ein Handy liegt neben dem Brotkorb auf dem Tisch. Mit Tasten und schwarz-weiß Display. "Das mit der Kommunikation überlassen wir den jungen Leuten", sagt Jochen Lobnig. Im letzten Jahr war der Polizeikommissar Direktkandidat für den Landtag, auch bei der Kommunalwahl 2014 wird er für seine Partei antreten.

Seit Ende 2011 ist die mit Turbulenzen behaftete politische Kraft auch in Neukirchen-Vluyn vertreten. Behauptet, sie könne schon den Finger in die politische Brise heben. Hat man von ihr gehört? "Gerade aktuell haben wir die Proteste rund um die Mülldeponie Eyller Berg begleitet und uns für den Marsch nach Düsseldorf eingesetzt — auch um wieder an Medienpräsenz zu gewinnen", betont André Landskron, Servicefahrer und Lobnigs Stellvertreter. Ansonsten sind die Tischgäste nicht gut auf "die Journaille" zu sprechen. Die belästigte "Stern"-Reporterin? Nur Raffinesse der Redaktion. Verzichten könne man auf "Schuldenstar" Peer Steinbrück, die "Büttenreden" im Bundestag und Politiker, die "nur Scheißhaufen hinterlassen und die Umwelt vermüllen."

Was machen die Piraten anders? Jochen Lobnig schiebt ein orangenes Heft über den Tisch. 74 Seiten. "Damit es nicht wieder heißt, wir haben kein Programm." Was darin steht über Teilhabe und Transparenz, Gesundheits- und Umweltpolitik, Bildung und Integration gelte auch für Neukirchen-Vluyn. "Ohne eine vernünftige Landespolitik kann nichts auf Kommunalebene ankommen."

Dass die basisdemokratische Partei in viele Fettnäpfchen treten wird, sei nicht auszuschließen. Letztlich seien sie ganz normale Leute mit politischem Interesse, keine Studierten vom Fach. Hier sehen die Piraten ihre Stärken: Sie wollen informieren, Schnittstelle mit der Politik für die Bürger sein — besonders für junge Menschen. Bei ihrem Stammtisch am zweiten Mittwoch im Monat sei jedermann, Pirat oder nicht, willkommen. Und werde gebraucht.

(kno)
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