Moers Gehören Pop und Schlager in die Kirche?

Moers · Bei Anlässen wie Trauungen, Taufen oder Beerdigungen möchten immer mehr Menschen bekannte Lieder aus Film, Fernsehen und Hitparaden einbauen, die ihnen etwas bedeuten. "Es ist ein Drahtseilakt", bekennt ein Pfarrer.

"Und ich atme für dich, ja, ich brenn' für dich" - diese Zeilen stammen aus dem Song "Ja" der Band "Silbermond", und den müssen sich Geistliche aus beruflichen Gründen öfters anhören. "Dieses Lied wünschen sich viele Brautpaare für ihre kirchliche Hochzeit", sagt Martin Simon, Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde in Vluyn. Eine Zeit lang sei "Halleluja" von Leonard Cohen der Renner bei Traugottesdiensten gewesen. Individuelle Musikwünsche gehören inzwischen bei familiären Anlässen in der Kirche dazu.

Nun gilt Cohen, der kanadische Songpoet, als echter Künstler, doch über andere musikalische Beiträge mag man geteilter Meinung sein. Was die einen entzückt, weckt bei anderen Fluchtgedanken. "Es ist ein Drahtseilakt", sagt Simon. Bei manchen Wünschen für Liedbeiträge kämen ihm durchaus Zweifel. Etwa, wenn das "Ave Maria" von Schubert gewünscht wird. Das sei in einer protestantischen Kirche nicht angemessen. "Bei uns gibt es keine Gebete an Maria".

Lieder werden nicht nur zu Trauungen, sondern auch zu traurigen Anlässen gewünscht. "Die Bestatter kümmern sich in der Regel darum", sagt Peter Bossmann, Pfarrer der Kirchengemeinde St. Martinus in Moers. "Sie sorgen dafür, dass die CD mit einem bestimmten Lied abgespielt wird. Oft ist es das Lieblingslied der oder des Verstorbenen gewesen. Oder es ist ein Lied, das Trost bietet."

Und das sei auch verständlich, meint der Pfarrer. "In den christlichen Chorälen zum Tod geht es um die Hoffnung auf das ewige Leben, aber das Gefühl des Verlustes, das die Angehörigen empfinden, kommt kaum vor." Und auch Lieder zur Hochzeit sind im kirchlichen Gesangbuch nicht häufig. "Außerdem kennen viele Gottesdienstbesucher die alten Lieder nicht mehr", sagt Bossmann. "Dann singt am Ende niemand mit, was ja auch nicht schön ist."

So holen sich die Menschen ihre Lieder meist aus der modernen Populärkultur. Für Pfarrer Martin Simon ist dies auch Teil eines Trends zu immer aufwendigeren Hochzeitsvorbereitungen. "Es muss alles perfekt sein, der schönste Tag im Leben, der Druck aus der Familie ist sehr groß." Hinzu kommt, dass man den Hochzeitsfeierlichkeiten im Bekanntenkreis nicht nachstehen möchte. "Früher hatte ich mit den Brautpaaren in der Regel nur ein Vorbereitungsgespräch, inzwischen sind es zwei bis drei." Die Trauung sei sozusagen eine Inszenierung, "und meine Aufgabe ist es, das mit einem gewissem Niveau umzusetzen", resümiert Simon. Auch Peter Bossmann kann diese Entwicklung bestätigen. "Man darf den Einfluss der Hochzeitsmessen nicht unterschätzen, dort bekommen viele Paare Anregungen für die Gestaltung ihrer Trauung." Dazu zähle dann auch, dass etwa eine Sängerin engagiert werde, die ein Lied, das den Brautleuten besonders wichtig ist, vorträgt. Viele dieser Hochzeitssänger bieten ihre Dienste im Internet an und haben natürlich ein bestimmtes Repertoire. "Oft höre ich auch: ,Bei diesem Lied haben wir uns kennengelernt!' Oder: ,Bei diesem Lied hat er mir einen Heiratsantrag gemacht!'", berichtet Bossmann.

Letztlich sei die Hochzeit die Feier der beiden Brautleute und nicht die des Pfarrers, daher sei er bei solchen Wünschen großzügig. "Man muss in diesen Dingen gelassen und tolerant sein", ist seine Maxime. "Mag die Sängerin aus dem Internet stammen, die Gebete stammen immer noch aus der Bibel."

(s-g)
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