Weihnachten 2016 Die Guten Hirten "Frau Helga" besorgt Flüchtlingen ein Zuhause

Moers · Helga Dörpinghaus (69) beschafft seit über einem Jahr Flüchtlingen reguläre Wohnungen in Moers. Ihr Haus ist feste Anlaufstelle.

Weihnachten 2016 Die Guten Hirten: "Frau Helga" besorgt Flüchtlingen ein Zuhause
Foto: Dieker Klaus

Auf dem Wohnzimmertisch von Helga Dörpinghaus stehen Plätzchen. "Probieren Sie mal", sagt die 69-Jährige. "Da sind Datteln und Kokosflocken drin. Hat mir gerade eine jesidische Familie vorbeigebracht. Als kleines Dankeschön." Helga Dörpinghaus hat in den Tagen vor Weihnachten viele Plätzchen geschenkt bekommen - von Flüchtlingen, denen sie in Moers eine Wohnung besorgt hat.

Gleich neben der Schale mit dem Dattel-Kokos-Gebäck liegen dickleibige Aktenordner, gefüllt mit dem Schicksal von Menschen, die die Zustände in ihren Heimatländern nach Deutschland getrieben haben. Frau Dörpinghaus schlägt einen Ordner auf und überfliegt eine Aufstellung. "33 Wohnungen für 63 Personen in einem Jahr - das ist doch nicht schlecht?", sagt sie und schlägt den Ordner wieder zu.

In Moers ist das Einfamilienhaus mit der roten Tür, in dem Helga Dörpinghaus und ihr Ehemann Jürgen (72) wohnen, zu einer festen Anlaufstelle für Flüchtlinge geworden. Sie vermittelt Menschen aus aller Herren Länder Wohnungen - und das alles ehrenamtlich.

Als unsere Redaktion sie vor einem Jahr besuchte, hatte sie gerade mit ihrer Arbeit angefangen. Zu dieser Zeit kamen viele Flüchtlinge nach Deutschland. Die Kommunen wussten nicht, wohin mit all den Menschen. Wie viele andere, meldete sich Dörpinghaus spontan bei der Hilfsorganisation Bunter Tisch. Weil noch jemand für die Wohnungsvermittlung gesucht wurde, bekam die gelernte Erzieherin und ehemalige kaufmännische Angestellte den Job.

Was eigentlich als bestenfalls auf einige Monate angelegte Aktion gedacht war, hat sich inzwischen zu einer festen Anlaufstelle entwickelt. Wenn in Flüchtlingskreisen von "Frau Helga" die Rede ist, weiß jeder, wer gemeint ist und was "Frau Helga" tagtäglich macht. Längst geht es bei ihrer Arbeit nicht mehr um punktuelle Hilfsdienste, sondern um kontinuierliche Klientenbetreuung. Wenn Ehemann Jürgen von den "Kunden" seiner Frau spricht, ist das nur halb scherzhaft gemeint.

Tatsächlich kombiniert Dörpinghaus Wohnungsvermittlung mit Langzeit-Sozialarbeit. Da ist zum Beispiel der 33-jährige Syrer Zakaria Altinawi. Vor einem Jahr quartierten ihn die Eheleute vorübergehend in ihrer eigenen Einliegerwohnung ein, weil der ehemalige Markenmanager in der Sammelunterkunft krank geworden war. Noch vor Weihnachten 2015 besorgte Helga Dörpinghaus Altinawi, der kein Wort Deutsch und nur wenig Englisch sprach, eine kleine Wohnung in der Moerser Innenstadt. "Mit dem Deutsch klappt das immer noch nicht so", sagt Dörpinghaus stirnrunzelnd. Doch obgleich sie in den Bemühungen ihres Schützlings, die Sprache seines Gastlandes zu lernen, immer noch Luft nach oben sieht, hilft sie dem jungen Mann bei seinem neuen Problem: Seine Familie, Frau und Kind, ist gerade im Rahmen der Familienzusammenführung aus Syrien eingetroffen. Jetzt ist die vor einem Jahr vermittelte Wohnung zu klein, und die Künste von Helga Dörpinghaus werden wieder gefragt sein, wenn die Familie eine größere Wohnung braucht.

Die Chancen, dass sie wieder Erfolg hat, stehen so schlecht nicht. Jedenfalls sind syrische Familien mit Kindern leichter zu vermitteln als Appartements für alleinstehende Männer. Männer aus sogenannten sicheren Herkunftsländern können ihre Hoffnungen auf eine Wohnung praktisch begraben. Weil ihr Asylantrag abgelehnt werden dürfte, müssen sie bis zur endgültigen Entscheidung in den Sammelunterkünften warten. Dörpinghaus legt strenge Kriterien fest, wen sie in ihre "Kundenkartei" aufnimmt. "Ich vermittle nur an die Netten", sagt sie und lacht. Anders wäre ihre Erfolgsquote wohl auch nicht möglich. Nur so konnte sie sich bei den Vermietern ihre Reputation aufbauen. Sie wissen, dass Dörpinghaus auch nach der Vermittlung hilft, wenn es Probleme gib. Fehlende Mülltrennung, Schuhe vor der Tür, die Wäsche über der falschen Leine, Lärm nach 22 Uhr: Vieles kann zu Streitigkeiten zwischen alten und neuen Bewohnern führen. Da muss dann die Wohnungsvermittlerin oft auch zwischen Menschen vermitteln. Dabei hat sie eine etwas verstörende Erfahrung gemacht. Die meisten Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen gebe es häufig bei Menschen, die selbst einen Migrationshintergrund hätten. Dennoch gewöhnten sich die neuen Hausgemeinschaften ihrer Erfahrung nach sehr schnell aneinander. Ein Problem, das selbst Helga Dörpinghaus bisher nicht in den Griff bekommen hat, ist die deutsche Bürokratie. "Zum Teil wird man behandelt wie der letzte Dreck", sagt sie. Man sieht ihr an, dass sie gerne mal mit der Faust auf den Tisch hauen würde. Aber das verkneift sie sich meistens - im Interesse ihrer Kunden.

Aber wenn die sich bedanken, weil "Frau Helga", wieder mal erfolgreich war, ist aller Zorn vergessen. So wie neulich, als ein junger Bangladeschi in der Tür stand. Unter dem Arm ein riesiger Fisch. "Der sah aus wie ein Koi", erinnert sich Dörpinghaus. Der Gast ließ es sich nicht nehmen, das Tier auch zuzubereiten. "Schmeckte hervorragend", sagt Dörpinghaus. Es müssen ja nicht immer Plätzchen sein.

(RP)
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