Unsere Woche Finanzbehörden im Visier

Moers · Unerwartete Aktualität hatte ein Wahlkampf-Auftritt von NRW-Finanzminister Norbert Walter Borjans (SPD). Statt Wahlkampf-Parolen gab es Infos aus erster Hand.

Wahrscheinlich werden die beiden SPD-Landtagskandidaten Ibrahim Yetim und René Schneider am Mittwochabend noch lange darüber nachgedacht haben, ob ihnen an diesem Tag nun ein großer Coup gelungen ist oder ob sie mit der Einladung von NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans zu einem Meeting mit niederrheinischen Steuerfachleuten wahltaktisch eher daneben gelegen haben.

Beide Politiker mussten einräumen, dass sie von dem Stoff, den ihr GenosseMinister im Kamp-Lintforter Parkhotel mit großer Sachkunde ausbreitete, nicht all zu viel Ahnung hatten. Zudem beschränkte sich der Minister in Sachen Wahlkampf auf das Nötigste, hatte sogar an mehreren Stellen lobende Worte für seinen CDU-Kollegen auf Bundesebene, Wolfgang Schäuble, parat. Vor allem aber betonte Walter Borjans, dass es bei Fragen der Steuergerechtigkeit viel weniger um links oder rechts, sondern um anständig oder unanständig gehe.

Für einen Mann der Zahlen ist das eine bemerkenswerte Einsicht. Und er hat ja Recht: Es ist gut, dass die Wuppertaler Finanzbehörden die Steuerschlupflöcher in die Schweiz geschlossen haben, auch wenn der Ankauf von Diebesgut durch deutsche Behörden (Steuer-CDs) rechtlich umstritten ist. Und es ist ein Skandal, dass unser Nachbarland Schweiz versucht, deutsche Beamte auszuspionieren.

Zur Steuergerechtigkeit gehört aber nicht nur, Steuerhinterzieher dingfest zu machen, dazu zählt auch, dass der Durchschnitts-Steuerzahler überhaupt in die Lage versetzt wird ,seinen Pflichten nachzukommen und seine Rechte wahrzunehmen. Da zeigen sich oft selbst Steuerberater angesichts der nicht enden wollenden Regelungsflut deutscher Behörden machtlos. Günter Ache, einer der ehemals bekanntesten Wirtschaftsprüfer Nordrhein-Westfalen, der unter anderem Uli Hoeneß half, seine Steuerschulden beim Freistaat Bayern zu begleichen, listete bei der Veranstaltung nicht weniger als 26 Verordnungen zur Abgabenordnung, 423 Anlagen und 122 Gesetze auf.

Kollegen von ihm beklagten sich über die ausufernde Dokumentationspflicht. Steuerberater müssen Belege bis zu fünf Jahre lang aufbewahren. Manche wissen gar nicht, wo sie den Platz dafür hernehmen oder das Personal bezahlen sollen, dass diesen Datenwust organisieren muss.

Ebenso bedenklich stimmen Berichte von Steuerberatern, deren Klienten wegen Minimalbeträgen steuerrechtlich von den Finanzbehörden belangt werden. Da fällt es schon schwer, dem Minister zu glauben, dass seine Finanzbeamten angehalten seien, sich auf die größeren, erfolgversprechenden Fälle zu konzentrieren. Man hat den Verdacht, dass in dem einen oder anderen Fall eine Form von vorauseilendem Gehorsam am Werke ist, ganz nach dem Muster: "Der Minister ist ein harter Hund, dann muss auch ich täglich meine Zähne zeigen."

Ein schönes Wochenende! juergen.stock@rheinische-post.de

(RP)
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