Moers Feenkind unter Wölfen

Moers · Die Reise dauert an: Der Moerser Beitrag zum großen Ruhr-2010-Theaterprojekt "Odyssee Europa" macht die Migration nach Europa zum Thema. Ab dem 15. April steht "Perikizi" auf dem Abendspielplan des Schlosstheaters.

Wer Perikizi folgt, muss sich klein machen, ganz klein: Durch eine quadratische Öffnung in der Guckkasten-Bühne aus Holz quetschen sich die Zuschauer, Schritt für Schritt, um dann in einer völlig anderen Welt zu landen: fröhlich, bunt und laut. Über einen roten Teppich geht's hinein in eine berauschende Feier zwischen Glitzer, türkischem Tee und Honig. Für die Zuschauer, die Perikizi auf ihren Albtraum-Trip nach Europa begleitet haben, folgt im Foyer der Theaterhalle am Solimare ein befreiendes und versöhnliches Ende.

Bruch mit Traditionen

Die Inszenierung "Perikizi – ein Traumspiel" ist der Schlosstheater- Beitrag zum Ruhr 2010-Theaterprojekt "Odyssee Europa" im Kulturhauptstadt Europa. Intendant Ulrich Greb hat auf Grundlage des Textes von Autorin Emine Sevgi Özdamar eine surreale Reise in die Unterwelt inszeniert und eine aktuelle Odyssee geschaffen – die Odyssee als Migration. Er spielt mit Vorurteilen und schickt Perikizi mit prallen und bunten Bildern auf eine Irrfahrt zwischen Heimatlosigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung und nackter Erniedrigung im fremden Land, das so verheißungsvoll war.

Dabei entspricht Perikizi, gespielt von Katja Stockhausen, überhaupt nicht dem gängigen Klischee türkischer Mädchen. Sie trägt kein Kopftuch, raucht, ist selbstbewusst und weiß genau, was sie will – Schauspielerin werden. Sie bricht mit den Traditionen: "Ich will nicht mit den Toten leben", begründet sie den Aufbruch. Perikizis Reise beginnt am Hintereingang der Theaterhalle. Die Zuschauer sitzen auf Kirchenbänken, ein Projektor zeigt Postkartenansichten – daneben gestapelte Koffer. Die Tür geht auf, ein rotes Motordreirad rast knatternd in den Raum: Darauf Perikizis Eltern und Großmutter: Sie warnen vor der Fremde und stopfen Heimaterde in den Koffer. Mit dabei die Musiker Nurettin Tubay und Mehmet Gümüstekin, die für den folkloristischen Trommelwirbel sorgen. Ulrich Greb nutzt den kompletten Theaterraum – das gab es zuletzt bei Antigone. Allerdings unterteilt er die Halle in drei Bereiche. Eine Wand aus Pappkartons trennt den ersten ab. Besucher, die regelmäßig ins Moerser Theater gehen, dürften sie bekannt sein: Es sind die Kartons aus dem Lear. Wie durch einem Labyrinth geht es hindurch in eine Manege, und plötzlich hat man das Gefühl, mitten drin zu sein im Albtraum eines fremden Menschen: Die Zuschauer sitzen unbequem auf Feldbetten und begegnen mit dem Feenkind erst schaukelnden Hühner, dann Pelzjäckchen tragenden Schweineköpfen und einem Chor auf Bierkästen. Ein Wolf im Schafspelz plädiert für den Erhalt der kulturellen Identität. Dazu gibt es Schikane auf Rollschuhen.

Perikizi bekommt die Eselsmaske aufgesetzt und einen Laubstaubsauger in die Hand gedrückt. Im Hintergrund wird ein Film auf die Wand aus Karton projiziert: eine brutale Hetzjagd im Wald und Bilder aus Marxloh, gefilmt von Ruzbeh Sadeghi. Die Guckkasten-Bühne übrigens, durch die das Publikum in den dritten Bereich klettern muss, erinnert stark an das Bühnenbild des Stücks "Der Drang", das Ulrich Greb 2004 im Moerser Schloss realisiert hatte. Wiederverwertung à la Schlosstheater?

(RP)
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