Familie des Opfers wohnt in Moers „Ich habe meine Frau erstochen und bereue“

Stuttgart/Moers · Vor dem Stuttgarter Landgericht hat ein Mordprozess gegen einen 29-Jährigen begonnen, der im Mai seine 25 Jahre alte Frau erstochen haben soll. Die Familie des Opfers lebt seit 22 Jahren in Moers. Auch der Angeklagte war hier zu Hause.

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Aber warum? Warum greift ein 29-Jähriger zum Messer, laut Staatsanwaltschaft ist es ein Ausbeinmesser, und sticht insgesamt fünfmal brutal auf die eigene Ehefrau ein. „Wuchtig“, wie der Staatsanwalt in seiner Anklageschrift betont, „in den Bauch und in den Rücken“ seines Opfers. Dabei sei das Rückenmark der 25-Jährigen durchtrennt worden und die Frau sei letztlich an inneren Verletzungen verblutet. Zum Tathergang selbst sagt der Angeklagte, der äußerlich ruhig und gelassen mit medizinischer Schutzmaske auf der Anklagebank sitzt, nichts. Über seinen Pflichtverteidiger, der eine erste Stellungnahme seines Mandanten verliest, lässt er ausrichten, dass er seine Frau im Affekt am 4. Mai mit dem Messer getötet hat.

Aber warum? Das fragt sich auch der Vater des Opfers, der als Nebenkläger auf einer der Bänke vor den Richtern sitzt. Der Dolmetscher an seiner Seite übersetzt seine Frage, nachdem ihm der Vorsitzende Richter Norbert Winkelmann das Wort erteilt. Es ist das einzige Mal an diesem ersten Verhandlungstag vor der Schwurgerichtskammer am Stuttgarter Landgericht, dass der Vater das Wort ergreift. „Was habe ich Ihnen getan, dass Sie mir so etwas angetan haben?“, fragt er den Angeklagten, seinen Schwiegersohn, ins Gesicht. Doch der wendet seinen Blick nicht vom Richter ab. „Ich habe Ihnen nur Gutes getan“, fügt der Vater an. Nachdem der Angeklagte keine Regung zeigt, wird im Zuschauerraum getuschelt. Missfallende Äußerungen sind zu hören. Unter den rund 20 zuhörenden Personen, die von den hinteren Bänken aus den Prozess verfolgen, befinden sich rund ein Dutzend aus der Opferfamilie.

Ein Bruder der getöteten Frau spricht in einer Verhandlungspause gegenüber unserer Zeitung deutliche Worte: „Wir würden mit dem ganz anders umgehen. Da gebe es einen kurzen Prozess.“ Ein Cousin wird noch deutlicher; seine Worte müssen an dieser Stelle nicht wiedergegeben werden. Alle Familienmitglieder seien am Morgen 400 Kilometer angereist. Sie kommen aus Moers, Duisburg und Gladbach. Alle sind Kurden. Vor 22 Jahren ist die Familie von der Türkei nach Nordrhein-Westfalen gezogen, die Eltern, insgesamt zehn Geschwister, und auch Cousins und Cousinen. Dort habe der Angeklagte auch die Schwester kennengelernt. „Wir alle waren gegen die Beziehung“, sagt der Bruder. Und eine Schwester meint: „Wir alle haben so viel für sie getan, die Wohnung eingerichtet und so.“ Aber niemand habe verstanden, dass die Schwester, die jetzt nicht mehr am Leben ist, mit dem Angeklagten nach Backnang gezogen ist.

Aber warum hat der 29-Jährige dann am frühen Morgen des 4. Mai in der gemeinsamen Mietwohnung in einem Reihenhaus im Backnanger Seehofweg auf seine Frau eingestochen? Laut Staatsanwaltschaft geschah der Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen letztlich aus Rache. Der Angeklagte hatte es offensichtlich nicht überwunden, dass ihn seine Frau bei der Polizei verpfeifen wollte. Sie habe ihm wohl damit gedroht, den Beamten preiszugeben, dass er in Deutschland unter falschem Namen wohne. Denn der Angeklagte, der ebenfalls Kurde ist, hatte beim Asylantrag nicht nur einen falschen Namen angegeben, sondern auch eine falsche Nationalität. Syrer sei er, habe er gesagt.

Warum hat er zugestochen? Vielleicht fragt sich der Angeklagte das jetzt selbst. Vielleicht kann er darauf keine Antwort finden, will offensichtlich auch seinem Leben ein Ende setzen. Denn im Lauf der teilweise zähen Verhandlung, nicht zuletzt wegen der beiden Verteidiger des Angeklagten, wird offensichtlich, dass er bereits zwei oder drei Suizidversuche hinter sich hat. Näheres dazu wurde nicht bekannt. Immer wieder sagen die Verteidiger: „Dazu gibt es heute keine weiteren Angaben“, kündigen aber gleichzeitig weitere Stellungnahmen ihres Mandanten zu einem späteren Zeitpunkt an. Ein Verteidiger sagt dann doch, dass er aktuell erfahren habe, dass der Angeklagte in der Justizanstalt Stammheim Mitte der Woche in eine andere Zelle verlegt worden sei. Vorausgegangen war ein Gespräch mit einer Psychologin. Die hatte wohl den Verdacht, dass bei dem 29-Jährigen Suizidgefahr bestünde. Aus diesem Grund sitzt der Angeklagte jetzt in einer Einzelzelle, bewacht von mehreren Videokameras.

Auf die Frage „Warum?“ gibt der Angeklagte, der wegen seiner sehr guten Deutschkenntnisse größtenteils auf einen Dolmetscher verzichtet, keine Antwort. Noch keine. Aber am ersten Verhandlungstag gehen ihm, nach einer längeren Stellungnahme seines Verteidigers, doch selbst folgende zwei Sätze über die eigenen Lippen: „Ich bereue sehr, was ich getan habe. Ich bitte alle Familienangehörigen um Verzeihung.“ Ob die Worte aufrichtig gemeint sind, kann in diesem Moment wohl nur er selbst sagen. Seinen Blick jedenfalls richtet er nicht an die Personen, die er mit seiner Entschuldigung ansprechen will.

Zur Person macht der Angeklagte über seinen Verteidiger folgende Angaben: Er ist 1992 in der Türkei nahe der Grenze zum Irak geboren, hat als Zehnjähriger begonnen, nach der Schule nachmittags in einer Teppichfabrik zu arbeiten, ist als 19-Jähriger weg von den Eltern nach Istanbul gezogen, hat dann fünf Jahre später, 2016, den Entschluss gefasst, in Deutschland Asyl zu beantragen. Dafür hatte er seinen Namen gewechselt und war als „Syrer“ nach Kassel gekommen. Von dort ging’s nach Backnang, wo er fünf Monate lang einen Deutschkurs besuchte.

Über diverse Firmen und Zeitarbeitsfirmen hielt er sich mit Aushilfsjobs über Wasser, war stets nach eigenen Angaben „ein sehr guter Mitarbeiter“, zog im Mai 2020 nach Moers, fand Arbeit, ging im Dezember 2020 aber wieder nach Backnang und arbeitete dort zuletzt als Produktionsmitarbeiter in einer Gießerei. Seine Eltern und zwei seiner Geschwister leben noch in seinem Geburtsort, die beiden anderen Geschwister in Istanbul. Weitere Erklärungen gibt er am ersten Tag nicht ab.

Wie viele Verhandlungstage es noch geben wird, ist derzeit noch unklar. Das Verfahren wird sich wohl noch bis Ende Januar kommenden Jahres hinziehen.

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