Interview "Es gibt keine rauschfreie Gesellschaft"

Moers · Immer mehr Jugendliche probieren Cannabis aus. Britta Dietrich-Aust und Christoph Olders von der Moerser Drogenhilfe beraten Schüler in der Region - und erklären, warum nicht jeder Kiffer gleich ein Problem hat.

 Die Sozialpädagogin Britta Dietrich-Aust leitet seit 2015 die Drogenhilfe Moers. Christoph Olders besucht seit drei Jahren Schulen in der Region und klärt über Drogen auf.

Die Sozialpädagogin Britta Dietrich-Aust leitet seit 2015 die Drogenhilfe Moers. Christoph Olders besucht seit drei Jahren Schulen in der Region und klärt über Drogen auf.

Foto: atrie

Frau Dietrich-Aust, Herr Olders, wie viele Jugendliche in Moers rauchen Cannabis?

Christoph Olders Genaue Zahlen für Moers gibt es leider nicht. Nach Angaben der Drogenbeauftragten des Bundes haben aber sieben Prozent der zwölf bis 17-Jährigen in Deutschland im vergangenen Jahr mindestens ein Mal Cannabis konsumiert. Unserer Erfahrung nach gibt es für Moers aber keine besonders auffällige Abweichung nach oben oder unten. BRITTA DIETRICH-AUST Durch die Nähe zu Holland ist Cannabis in Moers in etwa genauso verfügbar, wie in einer Großstadt wie Köln oder Frankfurt. Bei 40 Prozent unserer Beratungen sind die Jugendlichen unter 25 - und da ist Cannabis das Hauptthema. Im Vergleich zu vor 15 Jahren ist das ein deutlicher Anstieg. Cannabis hat die klassischen Beratungsfelder der Drogenhilfe, etwa Heroin, mittlerweile überholt.

Das heißt, immer mehr Jugendliche probieren Cannabis aus?

Olders Das ist schwierig zu sagen, auch weil natürlich nicht jeder, der konsumiert, auch zu uns in die Beratung kommt. Ich glaube, die Zahlen nähern sich bloß immer exakter der Dunkelziffer, weil es heute für die Gesellschaft - anders als früher - völlig in Ordnung ist, über Cannabis und den Konsum zu sprechen.

Macht Ihnen die Zahl der Konsumenten Sorgen?

Dietrich-Aust Klar, es wäre am Besten, die Jugendlichen konsumieren erst gar nicht. Man darf Cannabis nicht verharmlosen, aber auch nicht ständig Alarm schlagen. Es ist gefährlich, keine Frage, und viele junge Leute unterschätzen das, aber Cannabis ist nicht der Einstieg in eine Drogenkarriere und am Ende hängen alle an der Nadel. Augenmaß ist wichtig. Oft höre ich von Schülern, Cannabis sei doch bloß wie Alkohol, also ja gar nicht so schlimm. Man kann es auch umdrehen: Alkohol ist genau so gefährlich wie Cannabis.

Wie läuft denn so eine Beratung der Drogenhilfe ab?

Olders Meistens kommen die Kids mit den Eltern zu uns, weil sie von Lehrern oder Verwandten überzeugt werden. Nur ganz selten ordnet ein Richter die Beratung an. Wir führen erst ein Vorgespräch und sprechen erstmal allein mit den Jugendlichen und suchen dann nach den Gründen für den Konsum. DIEDRICH-AUST Wir wollen eine Basis dafür schaffen, dass die Jugendlichen ein Problembewusstsein entwickeln. Natürlich wäre es zu begrüßen, wenn alle die Finger weg lassen von Drogen, aber wenn wir dafür sorgen können, dass jemand weniger kifft und dafür nicht von der Schule fliegt, ist das auch ein Erfolg. Wir sind aber nicht der verlängerte Zeigefinger der Eltern. Wir sagen nicht: Du darfst nicht, du sollst nicht, das ist alles ganz böse.

Woran merken Sie, dass jemand süchtig ist?

Dietrich-Aust So wie ein Arzt eine Krankheit diagnostiziert, können wir eine Sucht feststellen. Dazu gibt es klare Kriterien. Wir schauen, wie viel konsumiert jemand, wie hoch ist die Dosis, werden Freunde, Familie und die Schule vernachlässigt? OLDERSAuf sowas kann auch das Umfeld der Person achten. Wenn jemand recht schnell seine Persönlichkeit verändert, Pflichten und Hobbys hinten anstellt, und den Schlafrhythmus extrem verändert, sollte man genauer hinschauen.

Wie binden Sie die Schulen ein?

Olders Wir fahren regelmäßig in die Schulen und sprechen mit den Jugendlichen. Im Klassenzimmer schicken wir die Lehrer manchmal raus, dann erzählen die Jugendlichen eher, was sie am letzten Wochenende so gemacht haben. In dem Alter geht es darum, Grenzen zu testen, zu experimentieren und spätestens ab der 8. Klasse sind Drogen ein Thema im Rahmen der Suchtprävention an Schulen. Wir versuchen, die Schüler zu informieren, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, und machen klar: Wir sind für euch da, wenn es ein Problem gibt.

Wie oft schaffen Sie es, Jugendliche von der Droge wegzubringen?

Dietrich-Aust Wissen Sie, wenn jemand unbedingt kiffen will, dann können wir ihn auch nicht aufhalten. Es gibt keine rauschfreie Gesellschaft. Wir vermitteln Süchtigen Therapieangebote und viele sehen wir nie wieder. Das heißt aber nicht, dass sie aufgehört haben. Aber es ist ja auch nicht sofort jeder süchtig. Wenn mir jemand versichert, dass er nur einmal im Monat kifft und zum Beispiel in der Schule und zu Hause alles läuft, dann hat er erstmal kein Problem - auch wenn der Konsum natürlich verboten ist.

Wäre es da nicht besser, man würde Cannabis legalisieren?

Dietrich-Aust Wir befürworten eine Legalisierung im Sinne einer Reglementierung. Das heißt nicht, dass man Cannabis überall kaufen könnte, sondern dass die Vergabe strengen Regeln folgt, auch dem Jugendschutz. Wir würden so viel mehr Jugendliche erreichen, weil man dann über den Konsum offener reden kann. Konsumiert wird, egal ob es verboten ist oder nicht.

DIE FRAGEN STELLTE ALEXANDER TRIESCH

(RP)
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