Moers Der Berufsstart wird zum Meisterstück

Moers · Bei der Ausbildung ist das Handwerk häufig dritter Sieger. Denn junge Menschen wollen studieren oder peilen einen Job in Industrie oder Verwaltung an. Eine neue RP-Serie über die Chancen im Handwerk.

 Dr. Christian Henke, Bildungsexperte der Handwerkskammer Düsseldorf.

Dr. Christian Henke, Bildungsexperte der Handwerkskammer Düsseldorf.

Foto: W. Meyer

Knapp 2000 offene Ausbildungsstellen zählten die Arbeitsvermittler noch Mitte Juni für das laufende Jahr in den Kreisen Wesel und Kleve. Anderthalb Monate vor dem offiziellen Start des kommenden Ausbildungsjahres war das aus Sicht der Arbeitgeber - eine verkehrte Welt: Auf Messen wie etwa der Jobbörse „Türen auf“ müssen sie sich regelrecht um die Gunst der Berufsanfänger bewerben. Gegen die Verheißungen eines Studiums und den lauten Lockruf der Industrie bleibt vor allem ein Zweig zurück: das Handwerk. Zu Unrecht – wie eine heute startende RP-Serie über „Ausbildung im Handwerk“ zeigt. Ein Berufsstart im Handwerk hat viele Facetten.

Zum Beispiel in der Bäckerei Büsch. Sie warb im März im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche für Ausbildung für sich. Jasmina Karajkovic, Leiterin Personal-Entwicklung, sagte: „Die betriebliche Präsentation ist wichtig. Das Bäckereihandwerk ist mehr als nur Brötchen backen. Der Beruf der Fachverkäuferin zeichnet sich durch Kundennähe und Teamarbeit aus.“ Schulnoten seien nicht das Kriterium. „Das eigene Talent und Kompetenzen sind gefragt“, so Karajkovic.

„Gegen die oft nur scheinbar übermächtige Konkurrenz muss das Handwerk mit seinen Stärken punkten“, fordert Christian Henke. Er ist Geschäftsführer der auch für den Niederrhein zuständigen Handwerkskammer Düsseldorf, zuständig für Bildungsrecht und Bildungspolitik. Aus Sicht der Praktiker ist es geradezu eine Krux, dass viele Schulabgänger und ihre Eltern die Chancen einer Handwerks-Ausbildung offenbar falsch einschätzen. „Das Handwerk bietet kein anonymes, sondern ein persönliches Arbeitsumfeld, persönliche Bindungen, die Möglichkeit eigenständig und eigenverantwortlich zu arbeiten und nicht zuletzt eine große Arbeitsplatzsicherheit.“

Allerdings verlangen die ausbildende Handwerker auch einiges: Dass viele Schulabgänger mit eklatanten Rechtschreibschwächen und ohne Ahnung vom mathematischen Dreisatz in die Ausbildung starten wollen, macht die Handwerksmeister zunehmend ratlos. Ihnen fehlt – vor allem jetzt, angesichts einer hohen Auslastung – schlicht die Zeit, die Versäumnisse der Schule nachzuarbeiten. Was allerdings auch so manchem Handwerksmeister nicht bekannt ist. Die Bundesagentur für Arbeit fördert unter Umständen die Nachhilfe, wenn‘s in der Berufsschule nicht klappt.

„Wir versuchen verstärkt, Kontakte zu den Schulen zu knüpfen“, sagt Handwerksfunktionär Henke. Dort könnten die Zünfte gezielt in den höheren Klassen für ihre Gewerke werben. Und: Ausschau nach interessierten Praktikantinnen und Praktikanten halten. Denn nach den Erfahrungen vieler Handwerksmeister verrät eine Probearbeit über einen längeren Zeitraum hinweg mehr über einen möglichen Bewerber als die Schulnoten. Pünktlichkeit, eine rasche Auffassungsgabe, Engagement und ein freundlicher Umgang mit Kunden seien am besten im Arbeitsalltag zu beobachten.

Wer einmal in den Kontakt mit dem Handwerk gekommen ist, lässt sich auch von den zahlreichen Chancen überzeugen. „Nach einer erfolgreichen Ausbildung im Handwerk stehen einem jungen Menschen alle Wege offen. Sie oder er kann als Geselle arbeiten, die Meisterschule besuchen oder an eine Hochschule gehen. Für jede Option sind Gesellinnen und Gesellen durch eine Lehre bestens vorbereitet. Und was viele nicht wissen: In bestimmten Konstellationen erwirbt man durch den Gesellenbrief sogar eine Hochschulzugangsberechtigung“, zählt Henke auf. Der Weg zu einer Universität oder Fachhochschule führt durchaus auch über die Berufspraxis im Handwerk.

In lockerer Folge wird die Rheinische Post in den nächsten Wochen über die Ausbildung im Handwerk berichten. Über Töchter und Söhne, die im elterlichen Betrieb lernen. Über das triale Studium, bei dem junge Menschen die Ausbildung, den Meisterbrief und ein Studium in einem Rutsch machen. Über Flüchtlinge, denen die berufliche Integration über das Handwerk gelingt.

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