Analyse Zehn Jahre Fbg/Die Grafschafter Ein Schnauzbart mischt Moers auf

Moers · MOERS Die Zeit war reif für eine politische Gruppierung abseits der gewohnten Parteistrukturen. Während in anderen Städte am Niederrhein längst freie Gruppierungen wie die FBI in Xanten (seit 1975) und die FBG in Kamp-Lintfort (seit 1979) etabliert waren, gab es in Moers neben der scheinbar übermächtigen SPD nur CDU, FDP, Grüne und mit wechselndem Personal Linksparteien.

 So was gibt es doch nicht nur in Köln. Der markante Schnurrbart ist das unverkennbare Markenzeichen von Claus Peter Küster.

So was gibt es doch nicht nur in Köln. Der markante Schnurrbart ist das unverkennbare Markenzeichen von Claus Peter Küster.

Foto: privat

MOERS Die Zeit war reif für eine politische Gruppierung abseits der gewohnten Parteistrukturen. Während in anderen Städte am Niederrhein längst freie Gruppierungen wie die FBI in Xanten (seit 1975) und die FBG in Kamp-Lintfort (seit 1979) etabliert waren, gab es in Moers neben der scheinbar übermächtigen SPD nur CDU, FDP, Grüne und mit wechselndem Personal Linksparteien.

Der optimale Nährboden für die Pflanze Bürgerbewegung ist stets ein Protest, der Menschen zusammenführt und sie zu der Erkenntnis bringt, dass "die da oben" sowieso nichts machen und man selbst in die Politik eingreifen muss. Das Skurrile an der Gründungszeit der Freien Bürgergemeinschaft Moers, die am Sonntag unter dem Namen die Grafschafter zehnjähriges Bestehen feiert: Ausgerechnet als in Moers nach Jahrzehnten die Sozialdemokraten die Macht verloren hatten, kamen die Themen auf, die für Protest sorgten. Die Büchereischließung in Scherpenberg, das Aus für das Wilhelm-Schroeder-Bad und die Sparvorgaben für die Musikschule, getragen von einer CDU, die sich mit der FDP wieder überworfen hatte und auch mit dem eigenen Bürgermeister nicht immer den engsten Schulterschluss hatte, bereiteten der FBG den Weg.

Neben dem Protest gehört zu einer Gründung auch der richtige Mann an der richtigen Stelle. Was in Xanten Herbert Dissen und in Kamp-Lintfort Heinrich Cichosz war, sollte in Moers Claus Peter Küster sein. Der Mann mit dem markanten Schnauzbart, der sich rund um das Team Schokoticket seine ersten Scharmützel mit der Stadtverwaltung geliefert hatte, war von Beginn an treibende Kraft und Gesicht der Grafschafter. Die RP berichtete bereits im Mai 2003 über die Entwicklung. Eine FDP-Veranstaltung im Asberger "Haus Engeln" ließ vermuten, dass die Liberalen eine neue Wählergemeinschaft fürchteten: Herbert Meylahn, der bei der Wahl zuvor für die FDP angetreten war, sollte Mit-Urheber einer möglichen Freien Bürgergemeinschaft sein. "Wahrscheinlichstes Szenario: Um den aktiven Scherpenberger Bürger Küster (Schoko-Ticket) könnte im Moerser Süd-Osten eine Bewegung Stimmen sammeln, die dann vor allem der FDP fehlen würden", schrieb die RP. Und lag richtig.

Meylahn gab zwar nur ein kurzes Gastspiel bei der FBG und bescheinigte bei seinem Abgang Küster, genauso schrecklich wie Otto Laakmann zu sein. Am 2. April 2004 berichtete die RP unter der Überschrift "Bei der Kommunalwahl tritt eine Freie Bürger-Gemeinschaft für den Moerser Rat an" über die Gründungsversammlung der heutigen Grafschafter. Mit 2300 Stimmen und 5,4 Prozent zog die FBG in den Rat ein. Drei Ratsmitglieder nahmen mit viel Elan und einer gewissen Blauäugigkeit die Arbeit auf, im Laufe der Periode kam Stefan Doll von der CDU dazu. Und Frontmann Küster kostete die Verwaltung und seine Ratskollegen viele Nerven: Vor allem sein Tempo kannte bis dahin niemand. Küster, der die modernen Techniken beherrschte und auch tagsüber Zeit hatte zu reagieren, antwortete schon auf Pressemitteilungen anderer, bevor diese gedruckt waren. Vor allem, dass die FBG sich treu bleib und nach Themen entschied, verwirrte die im Lagerdenken verhafteten Altvorderen. Mal blies der Wind der Ampel ins Gesicht, phasenweise beharkten sich CDU und FBG so intensiv, dass die Ampel-Mehrheit ruhig im Rat vor sich hinwurschteln konnte.

Einen Rückschlag gab es bei der nächsten Kommunalwahl. Als alle damit rechneten, dass die FBG als Anerkennung für ihr Engagement deutlich zugewinnen würde, gab es zwar 300 Stimmen mehr und 6,3 Prozent, aber auch das waren am Ende nur drei Mandate. Fast folgerichtig wurde es ruhiger um die FBG, längst in der Ratsarbeit zuhause. Ebenso wie die erst recht gefrustete CDU überließ sie die Oppositionsführerschaft zunächst der rhetorisch starken und engagierten Linken-Fraktionsvorsitzenden Gabriele Kaenders. Richtigen Instinkt bewiesen Küster und Co. jedoch, als Bürgermeister Norbert Ballhaus in der Vauth-Affäre das Wasser bis zum Hals stand. Obwohl sie in den Sachfragen rund um den Abriss des Sportzentrums Rheinkamp am beharrlichsten von allen nachfragten, verzichteten sie darauf, das Bürgerbegehren zur Abwahl des Verwaltungschefs mitzutragen. CDU und Linke scheiterten spektakulär. Mit viel Gefühl für populäre Themen setzen sich die Grafschafter stattdessen an die Spitze der Bewegung, die sich für die Wiedereinführung des MO-Kennzeichens starkmachte.

Im Jahr des zehnjährigen Bestehens gehen die Grafschafter mutig und optimistisch in den Wahlkampf. Zehn Prozent plus/minus drei Prozent gibt Küster als Wahlziel aus. Getreu dem Motto "Menschen machen Moers" macht vor allem ein Mensch weiter die Grafschafter aus: Küster bleibt das Gesicht der Partei und versucht sich auch erneut als Bürgermeisterkandidat. Aufhören will er noch lange nicht. "So lange die Moerser Bürgerschaft uns und mich wählt", lautete seine Antwort auf die entsprechende Frage.

Dass die Grafschafter Moers gern als kreisfreie Stadt sehen würden, hängt auch damit zusammen, dass das Tischtuch zum einstigen Partner auf Kreisebene, der VWG, zerschnitten ist. Küsters Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zur VWG erinnert an das letzte Gespräch zwischen Jürgen Klopp und Oliver Kahn: Wir haben keins! Unsere ganze Konzentration und Einsatz gilt der Verbesserung in Moers."

(RP)
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