Moers Ein Heimattheater im besten Sinne des Wortes

Moers · Vor 40 Jahren hat Holk Freytag das Schlosstheater in Moers gegründet. Anlass, einen persönlichen Blick auf das Haus zu werfen.

Tja, was ist geblieben von meinen Jahren mit dem Schlosstheater Moers? Die Handvoll Fotografien, die mir so geglückt schienen, dass ich sie in meiner Schreibtischschublade behielt? Die ungezählten Programmbücher zu den Stücken, die einen bunten Meter im Bücherregal bilden und schon äußerlich die unterschiedlichen künstlerischen Ansätze der drei Intendanten Holk Freytag, Rupert Seidl und Johannes Lepper verkünden? Die Bilanzbücher mit ihren berührenden handschriftlichen Widmungen? Von Menschen ließe sich berichten, die ich während der gut drei Jahrzehnte in diesem so speziellen Theaterbetrieb kennengelernt habe und mit denen ich bis heute befreundet bin, und von den Schauspielern und Regisseuren, die dieses vergleichsweise junge Theater als Experimentierfeld auffassten, und damit sich selbst und die Theaterbesucher weiterbrachten.

Das Laboratorium Schlosstheater, das in einer kleinen Großstadt wie Moers nicht vorgesehen, und in seinen Anfängen regelmäßig Gegenstand politischer Scharmützel in den Parteien war, hat sich im Laufe der Jahre aus seiner ursprünglichen Avantgarde-Opposition zu einem "Heimattheater" im besten Sinn des Wortes entwickelt: Ein Ort der Kunst, wo brennende Themen der Gegenwart verhandelt werden, für die Moerser und für Theaterliebhaber, die, auch der Intimität der Aufführungen wegen, von weit her anreisen. Nostalgisch gefärbte Anekdoten ließen sich zuhauf erzählen, doch das würde die hier gebotene Kürze nicht zulassen, während andererseits selbst eine sachlich chronologische Auflistung mit Namen und Daten den wenigsten heute etwas gäbe, da sie ja mit den Namen keine Gesichter und mit den Gesichtern keine Bühnenfiguren verbinden könnten.

Zu den Textstellen, die hängengeblieben sind in meinem Bewusstsein, und von Zeit zu Zeit vom Grund wieder auftauchen wie Schmetterlinge vom Vorjahr, bleiben Bilder: Einzelne Bühnenausstattungen und die Spielorte an sich. Vom ersten Augenblick an haben sie mich bezaubert: im Bauch des Schlosses, in der Winzigst-Arena des Tersteegen-Hauses und sommers unter den hohen alten Bäumen des Schlosshofes. Und am Anfang dieser Liebe stand ein Skandal, der bewies, dass die theatralische Provokation noch wirkte: Holk Freytag ließ die Euripides-Tragödie "Die Bakchen" in einer Peep-Show spielen, in der jeder Besucher für sich in einer Box saß, und zum Greifen nahe die Mänaden als barbusige Stripperinnen vorbei galoppierten. Samuel Becketts Stücke zogen sich wie ein roter Faden durch all die Jahre, meine Jahre mit dem STM, und mir ist es ein Anliegen, ihn hier zu zitieren in Anbetracht meiner Rolle diesseits der Rampe: "Alles seit je. / Nie was anderes. / Immer versucht. / Immer gescheitert. / Einerlei. / Wieder versuchen. / Wieder scheitern. / Besser scheitern."

So scheitere ich auch an diesem Auftrag, auf 100 Zeilen über "meine" 30 Jahre Schlosstheater zu schreiben, und ich freue mich über meine Unvermögen, zeigt es mir doch, dass Theater einfach nicht zu fassen ist: Wie sehr sich der Rezensent einer Aufführung auch bemühen mag, diese "Imitation of Life", die dort auf der Bühne vor sich geht, in seine Worte zu fassen, er ist immer in der Bredouille, hintereinander reportieren zu müssen, während doch dort zwischen den Mimen so vieles gleichzeitig geschieht, und vorbei ist, ehe man sich versieht.

Danke allen Beteiligten, gerade denen, an deren künstlerischem Wollen ich mich rieb. Im Schlosstheater weht ein Wind, der uns reifen lässt; R.M. Rilke sagt es so: "Und wie Früchte sind wir. Hoch hangen wir in seltsam verschlungenen Asten und viele Winde geschehen uns. Was wir besitzen, das ist unsere Reife und Süße und Schönheit."

Die Autorin war bis 2004 Kulturredakteurin der RP in Moers und hat das Schlosstheater viele Jahre begleitet.

(RP)
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