Kriminalität in Duisburg und Moers „Im Januar hätten wir Mine nicht gefunden“

Duisburg/Moers · Der Strafprozess um den Tod der jungen Mutter geht in die entscheidende Phase. Ihren Leichnam, verscharrt im Wald, fand einst Arno Eich, Duisburgs erster Mordermittler. Über einen Mann und seine Suche nach der Wahrheit.

 Arno Eich leitet das Kriminalkommissariat 11 bei der Polizei Duisburg.

Arno Eich leitet das Kriminalkommissariat 11 bei der Polizei Duisburg.

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Am Tag vor Nikolaus, einem kühlen Abend in der Adventszeit, findet Arno Eich die Wahrheit heraus. Das klingt so groß, so absolut, aber für den Chef der Duisburger Mordermittler lieferte der 5. Dezember 2019 die Antwort auf die damals so drängende Frage: Wo ist Mine O.? Der Fall der jungen Frau, die bereits im September verschwunden war, hielt die Polizei über Wochen auf Trab. Jener Abend gab nun Gewissheit. Aber was ist schon Wahrheit? Am Ende höchstens das, was Gerichte nach langen Vernehmungen offenlegen. Für Arno Eich war es eine Leiche.

Der Einsatz beginnt um 20 Uhr. Arno Eich und die Kollegen vom Kriminalkommissariat 11 fahren nach Untermeiderich, zu einem kleinen Waldstück, das einst vom Stahlkonzern Arcelor Mittal genutzt wurde. Die nächsten Wohnungen, gegenüber an der Spichernstraße, sind nur ein paar Meter entfernt, das Blaulicht lockt viele Schaulustige an. Hinter einem kaputten Zaun finden die Ermittler den genauen Ort. Erst müssen die Blätter beiseite, dann die Erde, sie graben tief. Nach einer Dreiviertelstunde ist klar: Hier liegt Mine O. begraben – 26, Mutter, und bereits seit vielen Wochen tot.

Derzeit muss sich Ercan E., der Ehemann der jungen Frau vor Gericht verantworten. Es geht um Totschlag, nicht um Mord, so hat es die Staatsanwaltschaft angeklagt. Ercan E., 29 Jahre und Lagerarbeiter, soll seine Frau am 7. September 2019 getötet haben, heißt es in der Anklageschrift. Erwürgt, im Streit und aus Eifersucht, denn Mine O. wollte offenbar die Trennung. E. soll sie anschließend als vermisst gemeldet und weiter den besorgten Ehemann gespielt haben, der von ihrem plötzlichen Verschwinden überrascht tat.

E. trifft sich mit der „Bild“-Zeitung, hilft bei der Suche, aber im Dezember, da fliegt alles auf. Die Kollegen von Arno Eich verhören ihn mehrmals. Als sich die Hinweise verdichten, gesteht er alles. „Das könnten wir so heute nicht mehr machen“, sagt Eich. Die Gesetzeslage zur Durchführung von Verhören habe sich geändert. Nun müsse immer ein Rechtsanwalt dabei sein – egal ob der Verdächtige ihn will oder nicht. „Und Anwälte raten natürlich dazu, erstmal bei der Polizei gar nichts zu sagen.“ Eich glaubt: „Einen Monat später, im Januar, hätten wir Mine nicht mehr gefunden.“

Bereits mehr als sein halbes Leben ist Arno Eich Polizist. Der 56-Jährige kam nach seiner Ausbildung 1988 zur Polizei Duisburg. Er war im Rauschgiftdezernat, ermittelte in der organisierten Kriminalität und unterstützte zwei Jahre eine Wache in Bosnien. Seit drei Jahren leitet Eich nun das KK 11, das sich mit Mord, Bränden, Waffen- und Sprengstoffdelikten beschäftigt. Als Jugendlicher wollte Eich mal Häuser und Wohnungen planen, Architekt werden. Jetzt klärt er Morde auf. „Jede Frage ist erlaubt, wir denken in alle Richtungen, das macht mir bis heute Spaß“, sagt er. „Am Ende geht es darum, die Wahrheit zu finden.“

Eich hat sein Büro im Polizeipräsidium an der Düsseldorfer Straße. Es liegt mitten auf dem Gang und ist für einen Polizisten recht unspektakulär eingerichtet: Schreibtisch, Computer, Bürostuhl, an den Wänden hängen alte Fotos aus Bosnien, auf dem Tisch liegen Akten. Viele Akten. „Typisches Beamten-Büro“, sagt Eich. Im Schrank hat er noch eine Polizeiuniform. Er trägt sie kaum noch, heute zieht er Hemd und Sakko an, Krawatte aber nicht. Smart Casual. So fährt er auch zu den Tatorten.

Die Fernseh-Krimis aus Deutschland mag der Kriminalhauptkommissar nicht, einen „Tatort“ hat er zuletzt vor zehn Jahren gesehen. Zu wenig realistisch, sei die Polizeiarbeit dort – angefangen damit, dass es nur wenig Teamarbeit gebe. „Mir ist das völlig unverständlich, warum das so dargestellt wird.“ Früh hat Eich Bücher über Profiling und Täterpsychologie gelesen, heute ist er Fan der Schriftsteller Simon Beckett und Karsten Dusse. Genug von der Ermittlungsarbeit bekommt Eich nicht. Gerade liest er „Achtsam Morden“ von Dusse. Darin geht es um einen Anwalt, der einen Mandanten umbringt. „Ich finde es toll, bei den Geschichten mitzufiebern.“

Die wahren Geschichten, die in Duisburg auf Eichs Schreibtisch landen, sind meist weniger spannend. Um 25 Tötungsdelikte hat sich das KK 11 im vergangenen Jahr in Duisburg gekümmert. 24 konnten die Ermittler aufklären. Dazu kommen noch 20 Fälle aus dem Kreis Wesel, für den das Duisburger Präsidium ebenfalls zuständig ist. „Mord und Totschlag sind oft Beziehungstaten, den oder die Täter finden wir also fast immer“, sagt Eich. Besonders schwer zu ertragen, seien Fälle, in denen die Opfer Kinder sind. „Natürlich wird bei uns auf dem Präsidium auch geweint und das ist völlig okay“, sagt Eich. Einmal fand der Ermittler eine Männerleiche, 82 Jahre alt, der Kopf war mit einer Axt gespalten – der Mord von Hünxe. Ein pensionierter Lehrer wurde von einem ehemaligen Schüler getötet und ausgeraubt. „Erstmal ließ uns der Fall etwas ratlos zurück. Den haben wir nur durch gute Arbeit im Team geklärt,“ sagt Eich. Die ersten 48 Stunden nach der Tat sind die wichtigsten. Danach verschwinden viele Beweise, sagt Eich.

Den entscheidenden Hinweis im Fall Mine O. fanden die Ermittler in der Wohnung des Ehemannes. Der führte die Kripo-Beamten zu einer Garage in Wanheim-Angerhausen, die wenige Tage nach dem Verschwinden von Mine O. angemietet wurde. Dort schlug ein Leichenspürhund an, die Polizei fand Kleidung und Handy der Vermissten. Ercan E. wurde vom Zeugen zum Tatverdächtigen. Nach seinem Geständnis rief Eich einen Richter an. Der gab den Durchsuchungsbeschluss für das Waldstück in Untermeiderich.

 Ercan E. betritt Anfang September den Saal des Landgerichts Duisburg. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine Frau aus Eifersucht getötet zu haben.

Ercan E. betritt Anfang September den Saal des Landgerichts Duisburg. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine Frau aus Eifersucht getötet zu haben.

Foto: dpa/Fabian Strauch
 Die Leiche von Mine O. fanden die Ermittler in einem Waldstück in Untermeiderich. Zuvor hatte ihr Ehemann die Tat gestanden. 

Die Leiche von Mine O. fanden die Ermittler in einem Waldstück in Untermeiderich. Zuvor hatte ihr Ehemann die Tat gestanden. 

Foto: Christoph Reichwein (crei)

Der Prozess gegen Ercan E. wird fortgesetzt. Mit einem Urteil ist spätestens am 5. Oktober zu rechnen. Eich wird allerdings nicht aussagen. Als Zeuge ist er diesmal nicht geladen. „Es warten neue Fälle“, sagt er. Und eine neue Suche nach der Wahrheit.

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