Neukirchen-Vluyn "Dong": Abschied von der Zivilisation

Neukirchen-Vluyn · Zähneputzen mit Bier und mittags mit Brummschädel aus dem Zelt krabbeln – in luftiger Höhe der Halde Norddeutschland ticken die Uhren anders als im Alltag. Ein hochprozentiger Lagebericht vom Metal-Festival "Dong".

 Feiern, Musik hören – und einfach mal den Alltag hinter sich lassen. Für viele Festspielbesucher gelten auf dem "Dong" andere Gesetze.

Feiern, Musik hören – und einfach mal den Alltag hinter sich lassen. Für viele Festspielbesucher gelten auf dem "Dong" andere Gesetze.

Foto: Klaus Dieker

Zähneputzen mit Bier und mittags mit Brummschädel aus dem Zelt krabbeln — in luftiger Höhe der Halde Norddeutschland ticken die Uhren anders als im Alltag. Ein hochprozentiger Lagebericht vom Metal-Festival "Dong".

Der Bass wummert vom Zelt rüber. Dazu Geräusche, die eher an eine Kreissäge erinnern. Christian packt sich an den Kopf. War ne lange Nacht — oder kurz, wie man es nimmt. Aber der Metaller nimmt es in diesen Tagen alles eher locker hier oben auf der Halde Norddeutschland, wo ihm der Wind um die Nase weht. Wer ein Ticket fürs "Dong-Festival" löst, gibt am Eingang gleichzeitig alles aus der Realität ab: Identität, Hemmungen, Zivilisation.

Der Alltag ist hier oben ganz weit weg. Hat man den steilen Aufgang erst einmal begonnen, lässt man sein Leben mit jedem Schritt, den man sich der Hügelspitze nähert, hinter sich. Kommt man keuchend oben an, ist man schon in einer anderen Welt. Riesige Zeltsiedlungen, Dixie-Klos, Campingstühle, Gaskocher — Wildpinkler. Christian atmet tief ein, seine langen Haare wehen im Wind. "Mein Nachname ist egal — Montag geht die Realität wieder los. Hier oben bin ich ein anderer. Hier ist alles egal, hemmungslos, die Welt ausgehebelt." Sein Tagesablauf? "Bier, Kaffee, Whiskey, Bier, Bier — und jetzt brauch ich mal nen Kaffee. Ist ja noch früh", erklärt der Bochumer und trinkt sein Bier aus. "Ach, ja — die Musik, da geh ich gleich auch mal hin, sobald der Kopfschmerz nachlässt."

Hier oben regiert für ein Wochenende im Jahr die Metal-Szene — und dabei gelten andere Gesetze. "Du quatschst mit coolen Leuten, lässt dich volllaufen und machst drei Tage nur Mist — du schaltest dich einfach mal für eine Zeit aus dem zivilen Leben aus" , erklärt Philipp aus Köln. Er ist gleich mit 20 Freunden angereist, zusammen haben sie eine ganze Zeltsiedlung auf dem Platz aufgebaut. Unter zwei Pavillons wird gemeinsam der Tag verbracht. Die Metal-Fans sitzen auf Campingstühlen und haben alles in Reichweite aufgebaut: Korn, Wodka, Zigaretten, Gaskocher, Fertiggerichte. Gastfreundlich sind sie, das muss man ihnen lassen. "Komm rein in unser Wohnzimmer. Nimm nen Schluck Korn", bietet Philipp an. Der 30-jährige SAP-Berater aus Köln möchte seinen Nachnamen ebenfalls nicht verraten. "Wenn du Niveau suchst, bist du hier falsch",. so Philipp. Das Wohnzimmer der Clique ist dekoriert mit langen, aufgeblasenen Gummihandschuhen, die sonst für Rektaluntersuchungen bei Kühen verwendet werden. "Hier darfst du nicht zimperlich sein, hier geht es rustikal zu. Aber das ist hier das pure Leben, was du erlebst, wenn du dich fallen lässt — und das kann man hier", sagt Philipp mit leuchtenden Augen.

Dieses "pure Leben" geht bei manchen Festivalbesuchern des "Dong" so: Zähneputzen mit Bier und Katzenwäsche im Dixie-Klo, zwischendurch etwas Musik im Festzelt und ansonsten chillen, quatschen und feiern. Und das ein oder andere Gespräch, das man hier zwischen Zelt-Heringen und Alkohol-Fahnen aufschnappt, ist durchaus philosophisch angehaucht. Norbert aus der Eifel kommt schon seit Jahren hoch zur Halde, wenn die harten Metal-Klänge rufen. Doch er war zum Beispiel auch schon bei den Salzburger Festspielen. "Metal-Musik hat auch etwas episches. Viele von uns hören auch klassische Musik", erklärt der 56-jährige Festivalbesucher und diskutiert mit seinem Sitznachbarn über Rimsky-Korsakow.

Christian hat es inzwischen, nach einer erfrischenden Bierdusche, aus dem Zelt raus geschafft. Seine Freunde tragen ihn Richtung wummernder Bässe.

(RP)
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