Moers Die Musik bedeutet alles

Moers · Saxofonistin Ingrid Laubrock hat die ersten Wochen als Improviser in Residence dazu genutzt, Kontakte zu Kulturschaffenden in Moers zu knüpfen. Inzwischen hat sie konkrete Ideen für das Jahr als Stadtmusikerin entwickelt. Zum Beispiel Musik in leerstehenden Ladenlokalen.

 Saxofonistin Ingrid Laubrock komponiert am Klavier. Sie hat eine klassische Ausbildung am Klavier genossen, bevor sie sich autodidaktisch das Saxofon-Spiel beibrachte.

Saxofonistin Ingrid Laubrock komponiert am Klavier. Sie hat eine klassische Ausbildung am Klavier genossen, bevor sie sich autodidaktisch das Saxofon-Spiel beibrachte.

Foto: Klaus Dieker

Ingrid Laubrock hat fast 20 Jahre in London gelebt, heute hat die erfolgreiche Saxofonistin ihren Lebensmittelpunkt in New York. Den knapp einjährigen musikalischen Abstecher in die Grafenstadt hat sich die 41-jährige Musikerin wohl überlegt. In den vergangenen drei Wochen hat sich Ingrid Laubrock in der Residenz des Moerser Stadtmusikers an der beschaulichen kleinen Allee eingerichtet. RP-Redakteurin Anja Katzke unterhielt sich mit der Künstlerin.

Frau Laubrock, Sie leben ja seit einigen Jahren in der Weltstadt New York. Haben Sie sich denn im "kleinen" Moers schon eingelebt?

Laubrock Ja, die Residenz gefällt mir sehr gut. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken, Üben und Schreiben. Es ist aber schon ein Kontrast zu meinem Leben in den USA. Ich habe in den letzten zwei Wochen nicht ein Mal mit anderen zusammen Musik gemacht. Das ist irgendwie seltsam für mich.

Eigentlich wollten Sie die Aufgabe als Improviser in Residence gar nicht übernehmen. Warum?

Laubrock Als mich Angelika Niescier anrief und fragte, ob ich Interesse daran hätte, nach Moers zu kommen, konnte ich mir dies nicht vorstellen. Ich habe in New York viele Verpflichtungen und muss Tourneen vorbereiten. Angelika Niescier hat aber so überzeugend davon erzählt, was sie als Improviser erlebt und gemacht hat, dass ich intensiver über das Angebot nachgedacht habe und mich entschlossen, nach Deutschland zu kommen.

Haben Sie sich denn schon überlegt, wie Sie die improvisierte Musik in die Stadt hineintragen werden?

Laubrock Ab April werde ich auf jeden Fall das Improvisations-Ensemble an der Musikschule betreuen. Außerdem möchte ich mit Achim Tang und Schulkindern zusammen Musik machen. Er hat ja in diesem Bereich schon sehr viel Erfahrung.

Und Sie?

Laubrock Ich habe Unterricht gegeben. Das Spielen war mir aber immer das wichtigste.

Welche Ideen wollen Sie außerdem in Moers realisieren?

Laubrock Ich würde gerne leerstehende Ladenlokale für eine Stunde am Abend beschallen — mit meditativer Musik, die aber nicht eingängig ist. Die Leute sollen sich einfach hinsetzen und die Atmosphäre auf sich wirken lassen. Ich hoffe, dass ich ein Geschäft finde, in dem dies möglich ist. Ich habe außerdem den amerikanischen Jazz-Schlagzeuger Tom Rainey zum Konzert eingeladen und möchte Phil Mintons Feral Choir in Moers vorstellen. Minton nennt seine experimentellen Workshops für Vokalensembles wild und ungezähmt. Und für Ende des Jahres plane ich, die Poème symphonique für 100 Metronome von Ligeti aufzuführen. Dafür brauche ich allerdings 100 Metronome. Das sind Geräte, die durch gleichmäßiges Anschlagen ein Tempo vorgeben. Vielleicht gibt es ja Moerser, die uns ihr Kästchen ausleihen. Für ein Konzert im Juni möchte ich Musik komponieren. Und als Höhepunkt steht das Moers Festival an.

War es für Sie eigentlich immer klar, dass sie experimentelle und improvisierte Musik machen wollen?

Laubrock Ich habe schon als Teenager experimentelle Musik gehört. Damals war ich vielleicht elf Jahre alt. Ich habe diese Musik ganz unvoreingenommen gehört. Es war wie eine Traumwelt. Ich habe klassisches Klavier gelernt, mich für Jazz interessiert, später habe ich mich mit der brasilianischen und kubanischen Musik beschäftigt. Es gab viele unterschiedliche Einflüsse.

Und das Saxofon-Spielen haben Sie sich selbst beigebracht.

Laubrock Ja, ich habe in Berlin, wo ich nach dem Abitur lebte, eine Frau kennengelernt, die auf der Straße Saxofon spielte. Das wollte ich auch gerne ausprobieren — aber an einem Ort, an dem ich anonym sein konnte. Ich bin nach London gegangen und habe die ersten neun Monate in der U-Bahn gespielt.

Später in New York waren Sie ziemlich schnell erfolgreich.

Laubrock Ich habe mit vielen guten Musikern wie Kris Davis, Tyshawn Sorey, Tom Rainey, Mary Halvorson und Anthony Braxton gespielt. Das hat sicherlich dazu beigetragen. Ja, und dann gab es den Artikel in der New York Times, der auch sehr hilfreich war. Ich hatte schon immer ein Faible für New York, 1998 und 1999 habe ich dort schon Kurse besucht. 2008 bin ich dort geblieben.

Wie lebt es sich denn in New York?

Laubrock Es ist aufregend. Die Stadt ist sehr liberal und voll mit Künstlern. Ich kann mich glücklich schätzen, denn es läuft dort sehr gut. Ich kann meine Zeit mit dem verbringen, was ich will.

Was bedeutet Ihnen die Musik?

Laubrock Sie ist alles für mich. Ich fühle mich am wohlsten, wenn ich spiele. Sie bietet die größte Art von Konzentration und ist zugleich die einfachste Art, sich auszudrücken. Die Musik ist ein Spielplatz mit immer neuen Herausforderungen.

Das diesjährige Moers Festival wird von der Spardebatte überschattet. Wollen Sie sich auch in die Kulturpolitik einmischen?

Laubrock Ich halte mich normalerweise raus. Aber in unsicheren Zeiten braucht man Musik, die einem vielleicht für ein paar Stunden die Sorgen nimmt. Gerade in solchen Zeiten entstehen aber oft besondere musikalische Projekte. Ich finde es schade, dass so über das Moers Festival diskutiert wird. Es ist weltweit bekannt, vor allem in der Jazz-Szene. Das ist eine Besonderheit.

(RP/rl)
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