Moers Der Arm der Stasi reichte bis nach Moers

Moers · Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde, diskutierte anlässlich einer Ausstellungseröffnung mit Schülern.

 Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde (rechts) im Gespräch mit den Schülern, Ben, Janna und Marie (v. r.).

Roland Jahn, Leiter der Stasiunterlagenbehörde (rechts) im Gespräch mit den Schülern, Ben, Janna und Marie (v. r.).

Foto: Klaus Dieker

Einen sehr persönlichen Einblick in ein Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte haben jetzt Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Filder Benden nehmen können. Im Hanns-Dieter-Hüsch-Bildungszentrum hatten die Elftklässler jetzt Gelegenheit, Fragen an Roland Jahn (63) zu stellen, der seit 2011 die Stasiunterlagenbehörde BStU (ehemals "Gauck-Behörde") leitet. Jahn, der nach Protesten gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann selbst aus der DDR abgeschoben wurde, war anlässlich der Eröffnung der Ausstellung "Feind ist, wer anders denkt" nach Moers gekommen. Grußworte sprachen die Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann (SPD), Kerstin Radomski (CDU) und Ulle Schauws (Grüne) sowie der stellvertretende Bürgermeister Ibrahim Yetim (SPD).

Der Geschichts-Grundkurs von Lehrer Ulrich Schnakenberg (41) hatte die drei Schüler Ben, Janna und Marie (alle 16) damit beauftragt, Fragen an Jahn zu stellen. Die zielten meist auf die Art und Weise, wie der damals noch junge Student Jahn in den frühen 80er-Jahren sein direktes Umfeld wahrgenommen hat. So wollte Janna wissen, ob Jahn nie bestimmte Menschen der Stasi-Mitwisserschaft verdächtigt habe Jahns Antwort: Natürlich habe über jedem Gespräch das Drohgespenst "Stasi hört mit" gehangen. Aber er habe sich nicht verrückt machen lassen wollen: "Deshalb hatte ich die Strategie: Die Stasi soll ruhig alles wissen."

Erst nach dem Fall der Mauer, erfuhr Jahn dass der Leiter seines Universitätsseminars kritische Fragen, die er im Seminar stellte, direkt an die Stasi weitergeleitet hatte. Als er dann mit einem Fähnchen der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc an seinem Fahrrad durch Jena radelte, griffen die Sicherheitskräfte zu. Er wurde zu 22 Monaten Haft verurteilt.

Allerdings machte sein Fall im Westen Schlagzeilen. Der öffentliche Druck bewirkte, das Jahn freikam und sich weiter in der Friedensbewegung engagierte. Eines Tages wurde es der Stasi zu bunt: In Ketten ließ die Staatssicherheit ihn aus der Wohnung seiner Freundin abführen und gegen seinen Willen in einen Zug nach Westen laden. "Als ich später meine Akte einsehen konnte, erfuhr ich, dass an der Aktion 100 Stasi-Leute beteiligt waren. Der Befehl kam von Stasi-Chef Erich Mielke persönlich", berichtete Jahn. Als Nachfolger von Joachim Gauck und Marianne Birthler hat Jahn auch einen guten Einblick über Aushorchaktionen der Stasi im Westen, wenngleich viele Akten der außerhalb des Staatsgebiets der DDR operierenden Agenten vernichtet worden seien. "In Moers", so Jahn interessierte die Stasi vor allem die Kontakte des Kirchenkreises Moers mit Kirchengemeinden in Seelow und Letschin. "Die witterten überall Konterrevolution und wollten einfach wissen, was in Moers los ist", berichtete Jahn. So habe die Staatssicherheit DDR-Bürger die aus familiären Gründen in den Westen reisen wollten, unter Druck gesetzt, nach der Rückkehr einen Bericht abzuliefern. Siegmund Ehrmann wies bei der Gelegenheit darauf hin, dass immer noch völlig ungeklärt sei, welcher Art die DDR-Kontakte der damals in Moers lebenden Kommunisten gewesen sei.

(RP)
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