Zeitzeugenbericht von Christel Reichart Der Angriff auf Moers

Moers · Eine gute halbe Stunde saßen wir nun schon in unserem rechtmäßigen Luftschutzkeller und es war immer noch nicht entwarnt worden. – Kellerluft war für unsere Kriegskinder nicht sonderlich zuträglich. – Plötzlich ging draußen die Hölle los.

2. Weltkrieg – Bombenhagel auf Duisburg
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Eine gute halbe Stunde saßen wir nun schon in unserem rechtmäßigen Luftschutzkeller und es war immer noch nicht entwarnt worden. — Kellerluft war für unsere Kriegskinder nicht sonderlich zuträglich. — Plötzlich ging draußen die Hölle los.

Ein ganz schwerer Angriff setzte ein. Luftminen fielen, die Erde erzitterte. Das elektrische Licht ging aus. Da zündeten wir unsere mitgebrachten Kerzen an. Ich rief alle Kinder, die ringsum auf den Bänken Platz genommen hatten, in der Mitte des Raumes zusammen, wo wir uns dichtgedrängt um einen Pfeiler scharten.

Die Angst stand allen im Gesicht geschrieben. Es war ganz still im Schutzraum.

Da, plötzlich, riss eine Luftmine, die hinter der katholischen Kirche fiel, unsere Notausstiegsluke mit furchtbarer Wucht auf. Qualm drang von außen ein. Wir konnten nicht mehr atmen und flüchteten in den angrenzenden öffentlichen Luftschutzraum, der von Menschen, die von der Straße gekommen waren und von der Nachbarschaft überfüllt war. Plötzlich erscholl der Ruf: "Über uns brennt das Haus!" Es gab Tumult und Geschrei. Jeder stürzte zum Ausgang hin und wollte sich retten. Da erschien eine beherzte alte Dame, Fräulein Döppers, sie war schon über 70, aber sie verstand es, die tobende Menge zur Ruhe zu bringen. Sie schaffte Ordnung, drängte die anwesenden Männer zurück und rief mit lauter Stimme: "Platz machen!"

"Zuerst kommen die Kinder!" Nun half sie unseren Kindern so, dass wir geordnet den Luftschutzkeller verlassen konnten. Keinem Kind wurde ein Leid zugefügt.

Wir erlebten eine wunderbare Bewahrung, trotz aller Schrecken, Ängste und Nöte in der Umgebung. Im Keller des Amtsgerichts Aber wie sah es draußen aus? Die Kleinen mussten über zerbrochene Scheiben, Dachziegel, Scherben und andere Trümmer klettern, um den Keller im Amtsgericht zu erreichen, (den nächsten Schutzraum) denn es gab immer noch keine Entwarnung; der Schrecken war noch nicht zu Ende. An verschiedenen Stellen brannte Feuer. Qualm erfüllte die Luft. — Als wir den Keller des Amtsgerichts erreichten sahen wir, dass dort Wasser einige Zentimeter hoch stand. Die Wasserleitungsrohre waren geplatzt. Es war dunkel und kalt.

In diesem Augenblick versagten die Nerven. Kinder und Erwachsene begannen zu weinen. Es war alles so trostlos. Mit Mühe versuchten wir, die Kinder zu beruhigen, die bisher so tapfer durchgehalten hatten. Mühsam suchten wir in der fremden Umgebung nach Sitzgelegenheiten für die erschrockenen Kinder. Noch vor der Entwarnung trafen schon die ersten Mütter unserer Kinder ein, die diese bereits überall gesucht hatten bei der chaotischen Zerstörung ringsherum.

Groß war für sie die Freude, ihre Kinder wohlbehalten in die Arme schließen zu können, wenn auch die eine oder andere Mutter von schweren Beschädigungen ihrer Wohnungen berichten mussten. So traf auch der Vater einer jungen Mitarbeiterin ein und rief: "Inge, wir habe einen Volltreffer auf unser Haus bekommen, alles haben wir verloren, komm mit, wir lassen uns sofort evakuieren!" Auch das Gebäude unseres Kindergartens war schwer beschädigt worden.

Der an das Gebäude angrenzende Altmaterialschuppen der Evgl. Schule brannte lichterloh, sodass das Dach unseres Kindergartens Funken fing, die aber schnell gelöscht werden konnten. Jedoch die Haustüre lag in einigen Stücken auf dem Hof und sämtliche Fensterscheiben waren wieder zertrümmert. Innen sah man Schränke und Kindermöbel mit Splittern übersät. In diesem Zustand war die Räumlichkeit für Kinder unbenutzbar geworden.

Als alle Kinder abgeholt und in Sicherheit waren, kehrten wir, die Erwachsenen, zum Luftschutzkeller Haagstraße 11 zurück. Dort brannte der Dachstuhl. Ein tapferer Mann versuchte immer wieder das Feuer zu löschen, doch vergeblich. Das vorhandene Wasser war verspritz. Er rief eindringlich "Bringen Sie mir doch Wasser, ich rette Ihnen das Haus!" — Gerne hätten wir das getan, doch sämtliche Wasserbehälter waren leer. Einige Leute hatten vom Stadtgraben aus eine Eimerkette gebildet, jedoch, als die Eimer mit Wasser an der Brandstelle ankamen, war es zu spät, das Feuer war übermächtig.

Unten im Pfarrhaus war das Evgl. Gemeindeamt untergebracht. Als wir, die "Tanten vom Kindergarten", ankamen rief man uns schon von weitem entgegen: "Sie müssen retten helfen!" Zuerst brachten wir die Mutter von Herrn Pfarrer Vowe in Sicherheit, sie hatte oben gewohnt und versuchte noch manche Dinge zu retten, dann halfen zwei unten im Büro, Schreibmaschinen und andere tragbare Dinge hinauszubringen, bis auch das zu Ende ging, als die ersten brennenden Dachbalken herabfielen und bald alles lichterloh brannte.

Am Königlichen Hof lagen eine Anzahl von toten deutschen Soldaten, die durch Luftminen getroffen worden waren und wohl frühzeitig keinen Schutzraum mehr hatten erreichen können. Der ganze Verkehr war lahmgelegt, die Stadtmitte von Moers war schwer getroffen worden. Es bestand keine Fahrverbindung mehr zwischen den Städten Homberg und Moers. Auch ich musste, total erschöpft, am Ende dieses schrecklichen Tages, zu Fuß nach Hause gehen.

Nie im Leben werde ich diesen fürchterlichen Angriff vergessen und trotz allem konnte ich dankbar sein, dass keinem Kind ein Leid geschehen war! Das Pfarrhaus, Haagstraße 11, war völlig ausgebrannt, das Evgl. Gemeindeamt wurde in den bald wieder hergerichteten Räumen des Kindergartens untergebracht.

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