Moers Der alte Geist der Röhre

Moers · Die Moerser Szenekneipe „Die Röhre“ startet am heutigen Freitagabend sein dreitägiges Geburtstagsprogramm. Die Kneipe, die unter anderem von Burkhard Hennen gegründet wurde, wird genau am Samstag, 11. Oktober, 40 Jahre alt.

Es war die Zeit der Studentenunruhen, als Rudi Dutschke in Berlin „regierte“ und auf den Straßen politische Sprechchöre skandiert wurden. Diese Protestwelle erreichte auch Moers, wo die Jugendlichen ebenso nach Veränderung suchten wie in den Metropolen. In dieser Zeit, am 11. Oktober 1968, eröffnete an der Moerser Weygoldstraße die Röhre als „Lokal und Forum für kulturelle und politische Diskussion“. Gründer Burkhard Hennen und Rainer Lindemann hatten geeignete Räumlichkeiten in der Lagerhalle der früheren Hutfabrik der jüdischen Familie Kahn gefunden. Heute ist Claudius Albustin der Chef hinter der Röhren-Theke. RP-Redakteurin Anja Katzke unterhielt sich mit ihm über die Bedeutung der Szenekneipe.

Herr Albustin, ist es etwas Besonderes Röhren-Wirt zu sein?

Albustin Ja, das glaube ich. Die Röhre ist ein Laden mit einer unglaublichen Tradition und mit vielen Geschichten. Vor kurzem hat mich ein Schüler gefragt: Stimmt es, dass der Knebel hier war? Und wenn ich erzähle, dass die Band „Kraftwerk“ in der Röhre ihren Probenraum hatte, schauen mich die Leute ungläubig an. Die Vorurteile, die die ältere Generation vor 40 Jahren hatte, gibt es allerdings heute noch – bis sie zum ersten Mal in die Kneipe kommt. Hier herrscht eine wunderbare Atmosphäre. Wir haben Stammgäste, die seit dem Tag der Eröffnung regelmäßig vorbei schauen und auf Leute in dem Alter treffen, in dem sie zur Röhren-Gründung waren: Schüler und Studenten.

Sie sind vier Jahre jünger als die Röhre. Wie und wann haben Sie die Kneipe kennengelernt?

Albustin Das war ein Zufall. Ich war etwa 18/19 Jahre alt, als mich mein Bruder zum ersten Mal mitnahm. Wir wohnten in Asberg, zur Schule ging ich in Ruhrort. Zu der Zeit war Markus Brinkmann noch Chef in der Röhre. Tja, ich wurde wie viele andere auch Stammgast. Die Kneipe war wie mein Wohnzimmer. Mir gefiel der persönliche Kontakt der Gäste untereinander – die persönliche Atmosphäre eben. Später, während meines Studiums, habe ich als DJ gejobbt. Ich hätte gerne gekellnert, aber Markus Brinkmann hielt gar nichts davon, dass Stammgäste hinter der Theke stehen.

Und wie ging’s dann weiter?

Albustin Irgendwann hat mich Markus Brinkmann immer mehr einbezogen, und 2007 habe ich die Röhre als Pächter übernommen. Für Markus Brinkmann stand fest, dass nur jemand den Laden bekommt, der den Geist der Röhre am Leben erhält und mit Herzblut dabei ist. Zuerst war ich zwar skeptisch und habe mich gefragt, ob es das Richtige für mich ist, aber dann habe ich festgestellt, dass ich mich in der Gastronomie sehr wohl fühle.

Die Röhre galt vor 40 Jahren als ein Hort der Subkultur, ein wenig schräg beäugt von den Etablierten in der Stadt. Wie sieht es heute aus?

Albustin Die Röhre gilt noch heute als Kneipe mit intellektuellem Touch. Der klassische alte Geist der Röhre ist aber nicht mehr so deutlich ausgeprägt wie vor 40 Jahren. Es gibt keine politischen Podiumsdiskussionen mehr. Die Politik wird an der Theke diskutiert. Die Geschichte der Röhre kenne ich ja nur vom Hörensagen und aus Gesprächen mit Burkhard Hennen. Damals galten die Besucher tatsächlich als linkssubversive Steinwerfer. Das Schöne ist heute, dass der Schuldirektor ebenso unser Gast ist wie die Schüler, der Stadtrat und der Arbeitslose. Es besteht hier eine Harmonie, die selten anzutreffen ist. Allerdings muss ich sehr vorsichtig sein, was Veränderungen betrifft.

Warum?

Albustin Es klingt zwar lustig, aber die Besucher unserer Kneipe, die im Geiste der Alt-68er entstand, pochen auf Traditionen. Würde ich die Kneipe für eine Wochen schließen und hier umdekorieren, gäbe es einen enormen Aufschrei. Als ich das alte Wandbild an der Kopfwand mit dem neuen Röhren-Logo übermalen wollte, gab es sogar eine Unterschriftenaktion.

Heute setzt die Röhre verstärkt wieder auf die Kultur...

Albustin Genau. Sie war ja ursprünglich Kulturkneipe. Hennen hat mir mal erzählt, dass hier 300 Veranstaltungen im Jahr stattfanden. Das war zwischenzeitlich eingeschlafen. Einige Stammgäste hatten sich sehr darüber mokiert. Und daraus entstand schließlich die k.o.-Kulturoffensive Moers. Es ist zwar nur ein kleiner Verein, aber wir wollten was tun. Heute bieten wir Literatur, Kunst und Musik. Unsere Reihe „Literarisch verzapft“ lockt Leute an, die normalerweise nicht die Röhre besuchen würden. Wir planen allerdings die Eintrittspreise für Schüler zu ermäßigen, denn sie sollen sich die Lesungen ebenfalls leisten können. Und wir haben noch einen Berg an Ideen, die wir noch umsetzen wollen – aber peu à peu, damit unsere Stammgäste die Veränderungen mitmachen.

(RP)
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