Deportation nach Theresienstadt Aus Moers in den Tod

Moers · Vor 80 Jahren, am 25. Juli 1942, wurden betagte jüdische Bürgerinnen und Bürger nach Theresienstadt deportiert. Viele hatten ihre letzte Adresse in einem der sogenannten Judenhäuser an der Moerser Burgstraße 16.

 Hermann Bähr, Sohn von Oskar und Madchen Bähr.

Hermann Bähr, Sohn von Oskar und Madchen Bähr.

Foto: Grafschafter Museum

Die zweite große Verschleppungsaktion jüdischer Bürgerinnen und Bürger ging von Moers über Düsseldorf am 25. Juli 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt: 21 zumeist betagte jüdische Männer und Frauen, darunter der 90 Jahre alte Otto Gutmann, der 86-jährige Dr. Oskar Bähr und seine 79-jährige Frau Madchen. Viele der betagten Moerser Juden starben wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Theresienstadt. Andere wurden nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet.

Nachdem am 10./11. Dezember 1941 mehr als 80 Moerser Jüdinnen und Juden nach Riga deportiert worden waren, lebten – abgesehen von Jüdinnen und Juden in Mischehen – nur noch überwiegend betagte jüdische Menschen in Moers. Ihre jüngeren Familienangehörigen waren bereits deportiert oder ins Ausland geflohen. Zumeist wohnten sie unfreiwillig in einem der sogenannten Moerser Judenhäuser. So hatten viele der am 25. Juli nach Theresienstadt Deportierten ihre letzte Adresse an der Burgstraße 16. In den erhaltenen Bewohnerlisten der Häuser steht „Jahr und Tag des Auszuges“: 24. Juli 1942“; „Verzogen nach: Theresienstadt“.

 Helene Bähr, geborene Haas.

Helene Bähr, geborene Haas.

Foto: Grafschafter Museum

Ab 1941 nutzten die Nationalsozialisten die ehemalige Garnisonsstadt Theresienstadt als Zwischenstation für rund 88.000 jüdische Menschen aus dem „Protektorat Böhmen und Mähren“ bis zu ihrer endgültigen Deportation in die Vernichtungslager. Auf der „Wannseekonferenz“ im Januar 1942 wurde Theresienstadt als „Altersghetto“ bestimmt: jüdische Menschen über 65 Jahre, Soldaten des Ersten Weltkriegs und prominente Juden aus dem Reichsgebiet sollten dort zunächst untergebracht werden.

 Der ehemalige Rabbiner Oskar Bähr.

Der ehemalige Rabbiner Oskar Bähr.

Foto: Grafschafter Museum

Die NS-Propaganda machte aus Theresienstadt eine „jüdische Mustersiedlung“ und ein „Vorzugsghetto“. Die nach Theresienstadt Deportierten schlossen auf Veranlassung der Gestapo „Heimeinkaufverträge“ ab, die ihnen lebenslange Unterbringung, Verpflegung und Krankenversorgung garantieren sollten. Die Realität war eine ganz andere: Von den 141.000 nach Theresienstadt Deportierten überlebten nur rund 4000. 33.000 Menschen waren oft wenige Wochen nach der Ankunft gestorben, fast 90.000 wurden weiter in die Vernichtungslager deportiert. Von den am 25. Juli aus Moers deportierten Jüdinnen und Juden überlebte nur eine Frau.

 Louis Leyser hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft

Louis Leyser hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft

Foto: GRafschafter Museum/Grafschafter Museum

Unter den aus Moers nach Theresienstadt deportierten war Louis Leyser. Er hatte im Ersten Weltkrieg für das Deutsche Kaiserreich gekämpft und einen Arm verloren. Demonstrativ legte er beim Verlassen seiner Wohnung an der Friedrichstraße 33 sein Eisernes Kreuz auf den Tisch.  

 Madchen Bähr, geborene Werthheim.

Madchen Bähr, geborene Werthheim.

Foto: Grafschafter Museum

Gemeinsam mit seinen Eltern Oskar und Madchen Bähr wurden Dr. Hermann Bähr und seine Frau Helen nach Theresienstadt deportiert. Der ehemalige Rabbiner Oskar Bähr und seine Frau waren 1934 nach seiner Pensionierung nach Moers gezogen, um in der Nähe ihres Sohnes zu wohnen. Dass der 59 Jahre alte praktische Arzt und letzte Moerser Synagogenvorsteher Hermann Bähr nicht schon im Dezember 1941 nach Riga deportiert worden war, hing mit seiner Bekanntheit und Funktion zusammen.

Hermann Bähr, der sich nur noch „Krankenbehandler“ nennen und nicht mehr praktizieren durfte, gehörte bis 1933 zu den angesehensten Persönlichkeiten in der Stadt. So schrieb 1955 ein Lehrer des Gymnasiums Adolfinum von dem geachtete[n] und unvergessene[n] Dr. Bähr. In dem Schreiben ging es allerdings nicht um das Schicksal von Hermann Bähr und seiner Familie, sondern um die durch den Bau des Finanzamtes bedrohten Bäume auf seinem enteigneten Grundstück.

Als die Nationalsozialisten im Sommer 1944 den NS-Propagandafilm „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ drehten – wohl mit ausländischem Zielpublikum für die Zeit nach dem Krieg –  lebten von den im Juli 1942 von Moers nach Theresienstadt Deportierten noch fünf. Der Film zeigt ein Idyll mit Blumenbeeten, Fußballspielen und „glücklichen“ Bewohnern. Hermann Bähr und seine Frau Madchen müssen die Dreharbeiten noch mitbekommen haben. Im Oktober 1944 wurden er und seine Frau nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Die Autorin ist Leiterin des Eigenbetriebs Bildung und des Grafschafter Museums im Moerser Schloss.

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