Serie Gladbacher Lesebuch (8) Zwischen Seifen Ullrich und Lovers Lane

Heute befinden sich an der Waldhausener Straße vor allem Kneipen und Bars. Früher gab es dort viele Geschäfte. Besonders in der Nachkriegszeit florierte dort der Handel. 1954 begann der Niedergang.

 Maria Kremer stand im Laden ebenfalls hinter der Theke.

Maria Kremer stand im Laden ebenfalls hinter der Theke.

Foto: Hildegard Kremer

Bis zur Bombardierung im September 1944 war der "Wateser Berch" eine vielschichtige Einkaufsstraße, ein Minikosmos, in dem es von Schwarzbrot über Schweinebraten, Kernseife, Dauerwelle, Damenhüte, Zigarren, Pfeifen, Spielwaren oder Trauringe alles das zu kaufen gab, was zum einfachen Leben nötig war. "Inhabergeführte Läden" nennt man das heute, was damals selbstverständlich war. Ausgehend vom Alten Markt waren linksseitig unter anderem: Bäckerei Berger, Schuhe Determann, Metzgerei Dichands, der bis heute noch an gleicher Stelle existierende Raumausstatter Terstappen, Lederhandlung Bertelmann, Kohlenhandlung Engels, Frisiersalon Steves (später Günter Netzers berühmte Lovers Lane) und Ecke Waldhauserner-Gasthausstraße das Molkerei- und Lebensmittelgeschäft Wechselberger. Das Eckhaus gegenüber (später die Bar Kristallgrotte, dann die Pizzeria Pinoccio ) prunkte noch bis zur Nachkriegszeit mit einem mit Kieselsteinen gepflasterten Innenhof, der von der Gasthausstraße zugänglich war.

 Albert Kremer senior 1950 in seinem Zigarrengeschäft.

Albert Kremer senior 1950 in seinem Zigarrengeschäft.

Foto: Hildegard Kremer

Zurück zur Geschäftswelt, zur diesmal rechtsseitigen Einkaufsmeile: Als erstes fällt mir Seifen Ullrich ein, das Seifengeschäft des legendären Karnevalisten "Seepeschnäuz". Oberhalb prunkten die Golschmiede Lucas und Uhren Giesers. Im Haus Nummer acht war nach dem Krieg die Pfarrbücherei untergebracht, in der ich aushilfsweise tätig war und als Dankeschön Bücher unentgeltlich ausleihen durfte. Es gab Spielwaren Leblanc und Damenhüte Stapper. Daran an schloss sich mein Elternhaus, Pfeifen und Zigarren Kremer. Meine Mutter hat oft erzählt, dass Kunden am Wochenende drei einzelne Zigaretten verlangten und auch bekamen.

 Die Gaststätte Lütterforst (heute die Kulturküche) hatte die Hausnummer 64. Carla Lütterforst, Albert Kremer und Rainer Lütterforst (von links) im Sand.

Die Gaststätte Lütterforst (heute die Kulturküche) hatte die Hausnummer 64. Carla Lütterforst, Albert Kremer und Rainer Lütterforst (von links) im Sand.

Foto: Hildegard Kremer

Die Nachkriegs- und Aufbauzeit war Saison für den Einzelhandel am "Wateser Berch", da die Geschäfte an der Hindenburgstraße noch zerstört waren. Das änderte sich nach deren Wiederaufbau. Etliche Einzelhändler zogen in die neue Einkaufsmeile. Als 1954 schließlich der wöchentliche Gemüsemarkt vom Alten Markt zum Kapuzinerplatz verlegt wurde, fehlte vielen Einzelhändlern, auch meinen Eltern, die Laufkundschaft, die jetzt lieber über die Aachener Straße bergaufwärts direkt zum Kapuzinerplatz ging. Der langsame Niedergang der oberen Waldhausener Straße begann. Bis die "Schwarze Spinne" mit ihrem Barbetrieb lockte. Bis Günter Netzers "Lovers Lane" die Massen anzog. Bis die Waldhausener Straße zwischen Alter Markt und Grünewald zur etablierten Kneipenmeile mutierte. Bis meine Mutter, Schwester und Familie das wieder aufgebaute Wohnhaus verließen, weil der nächtliche Lärm zu laut geworden war. Aber das ist schon die Neuzeit.

(RP)
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