Kairotisch (7) Wüstenmenschen ohne Zeitnot

Mönchengladbach · Die Zeit der Wüste ist vorbei. Ein herrliches Gefühl, sich in so eine Utopie aus Zeitlosigkeit zu stürzen, wenn nur nach dem Auftauchen meine Lebensrealität nicht so weit davon entfernt wäre. Es ist leicht, sich dort in philosophischen Gedankenschleifen über Natur, Zeit, Stille und Weite zu verlieren, aber zurück in der Stadt hilft einem das wenig.

Kairotisch (7): Wüstenmenschen ohne Zeitnot
Foto: Katja Möltgen

Ich komme zurück nach Kairo, und der Lärm, die Überfülle, prallt an meinem sandigen Gemütspanzer ab wie Vögel an einem Panoramafenster. Ach wie herrlich, denke ich mir. Meine Seele ist doch was Feines — so edel und gut! Durch den Austausch mit den universalen Grundwahrheiten sensibilisiert, schützt sie sich jetzt gegen die oberflächlichen Verschmutzungen durch die Zivilisation. Ganz toll macht sie das — den Selbstschutzmodus ausgepackt, kann ich jetzt erst mal wieder klar kommen. So glatt läuft das aber nicht. Tagelang habe ich Kopfschmerzen, da hilft es mir wenig, den anderen die Schuld zu geben — das tut trotzdem weh.

Stunden um Stunden kann ich im Halbschlaf verbringen, Abstraktion oder eine magische Leere in meinem Kopf. Die Leichtigkeit des Seins wird erst dann unerträglich, wenn man sich nach Substanz sehnt. Ich möchte von meinem Erlebnis berichten und finde keine Worte, kann keinen Gedankenketten folgen und gleite an meiner Umgebung ab. Der Knackpunkt an diesem Zustand ist der Moment, wo ich verinnerliche, dass er zwar rein, aber unbefriedigend ist. Meine Umwelt ist nicht perfekt, aber ich möchte doch so gerne Teil davon sein — meine Unperfektheit beisteuern und es keinem von uns übelnehmen. So eine Blasen-Oase ist ein wunderbarer Rückzugsort, aber eben als Ort zum Verweilen, nicht zum Verstecken.

Die Kairoer tanzen täglich mit beidem. Sie drehen ihre Pirouetten zum Shaabi des Großstadtalltags, aber das Ganze mit einer bewundernswerten inneren Gelassenheit, nichts da draußen ist ernsthafte Hektik wert, im Innern bleiben sie doch Wüstenmenschen. Auch entnervt, unter Zeitdruck von lachenden, schlendernden Ägyptern auf dem Bürgersteig behindert zu werden —ist Einstellungssache. Je öfter ich gelassen und lächelnd zehn Minuten zu spät komme, desto häufiger erfahre ich, dass das kein Problem für niemanden sein muss.

DIE GLADBACHERIN KATJA MÖLTGEN (24) STUDIERT DESIGN AN DER HOCHSCHULE NIEDERRHEIN. DERZEIT VERBRINGT SIE DREI MONATE IN KAIRO. IHRE EINDRÜCKE SCHILDERT SIE AUCH AUF IHREM BLOG "KAIROTISCH": HTTP://KAIROTISCH.BLOGSPOT.COM/

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort