Mönchengladbach WM 82: Josef Titz reiste mit dem Rad an

Mönchengladbach · Schuhmachermeister Josef Titz radelte 1982 nach Barcelona, besuchte das WM-Eröffnungsspiel - und sah Argentinien verlieren. Mit 0:1 unterlag Deutschlands aktueller Finalgegner damals gegen Belgien. Rückblick auf eine kuriose Reise.

 Viele kennen Josef Titz als Schumachermeister. Die Aufnahme von 2011 zeigt ihn mit einer Mappe mit alten Aufzeichnungen über die Innung.

Viele kennen Josef Titz als Schumachermeister. Die Aufnahme von 2011 zeigt ihn mit einer Mappe mit alten Aufzeichnungen über die Innung.

Foto: Raupold

Sommerbräune, dunkle Mähne, buschiger Vollbart, knappe Jeansshorts und rotes Baumwollshirt - dieser Mann auf dem etwas verwackelten Foto von 1982 soll wirklich Schuhmachermeister Josef Titz aus Schelsen sein? Eben jener Josef Titz, 77 Jahre alt, der da gerade bei Dauerregen draußen auf seiner überdachten Terrasse sitzt? Eher blass, mit glatt rasierten Wangen, grauem Haar, blauen Augen hinter dezenter Brille, hellem Hemd und Stoffhose? Es fällt schwer, die beiden Bilder zu vereinbaren, aber ja, er ist es.

Im Sommer 1982 hatte der Handwerker sein Geschäft in Rheydt ein paar Monate lang den Mitarbeitern überlassen, gönnte seinem Rasierer eine Pause und machte eine ausgedehnte Radtour. An 115 Tagen legte er 7500 Kilometer zurück, übernachtete im Zelt oder unter freiem Himmel, fuhr durch Belgien und Frankreich, Spanien, Portugal, Marokko, Algerien, Tunesien, Italien und die Schweiz, das letzte Stück mit dem Zug zurück nach Mönchengladbach. Beim Zwischenstopp in Barcelona sah er sich am 13. Juni im Stadion Camp Nou das Eröffnungsspiel der Fußballweltmeisterschaft an.

"Tag 29. Argentinien - Belgien, 0:1", hat Josef Titz damals in seinem Tagebuch notiert. Die schwarze Kladde liegt vor ihm aufgeschlagen auf dem Gartentisch, neben stapelweise Fotos, die der ehemalige Schiedsrichter der Kreisklasse unterwegs durch Europa mit seiner kleinen Kamera aufgenommen hat. Einige zeigen ihn neben seiner Tochter Claudia, sie begleitete ihn ab Barcelona. Sechs Filme hatte Titz dabei, verstaut in der Ledersatteltasche, die über den Gepäckträger seines silberfarbenen Drei-Gang-Herrenrades geschwungen war.

Darauf klemmte ein Rucksack mit Ornamenten in Pink und Orange, während der Fahrt umweht von einer am Sattel befestigten Deutschlandfahne. "Anfangs haben mich die Leute beklatscht und bejubelt, wenn sie mich mit der Fahne gesehen haben", erinnert sich Josef Titz. Doch dann spielte Deutschland gegen Frankreich im Halbfinale, Torhüter Toni Schumacher foulte Patrick Battiston - "ab da wurde ich nur noch ausgebuht".

Deutschland: Der Weg ins WM-Finale
8 Bilder

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Nicht alle WM-Spiele sah Josef Titz 1982, aber so oft es ging, suchte er sich eine Gaststätte, in der ein Fernseher lief. Seine Tochter interessierte die Weltmeisterschaft weniger: "Ich habe in Ruhe ein Glas Wein getrunken, sie streckte sich neben mir auf der Bank aus und schlief." In Barcelona lag ihr deshalb auch nichts daran, eine Eintrittskarte für das Eröffnungsspiel zu ergattern. Ein paar Tage lang versuchte Titz, über Kellner und Geschäftsleute an ein Ticket zu kommen - ohne Erfolg. "Dann bin ich zum Stadion gefahren. Da gab es ein kleines Büdchen, vor dem etwa 30 Leute standen. Dort gab es noch Karten." 2500 Peseten bezahlte er für eine, so steht es in seinem schwarzen Tagebuch. "Im Stadion hatte ich einen wunderbaren Platz", erzählt er. Zwischen all den Fans verschiedener Nationalitäten habe er sich richtig wohlgefühlt. Welche Mannschaften auf dem Platz standen, hätte er ohne einen Blick in seine Kladde jetzt aber nicht mehr gewusst.

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Foto: afp, Desk

Von Barcelona aus fuhren Vater und Tochter weiter nach Madrid, zwischen 80 und 140 Kilometer legten sie auf ihrer Reise pro Tag zurück. "Wir wollten einfach mal weg", sagt der 77-Jährige. "Wir wollten etwas unternehmen und viele Menschen kennenlernen." Schon als Jugendlicher hatte Titz davon geträumt, sich irgendwann eine Zeit lang aus dem Alltag auszuklinken und herumzureisen. "Was wir alles gesehen haben, war wunderschön", sagt er. Eins sah er aber nicht: das Finale der Weltmeisterschaft. "Da war ich gerade mit dem Rad in Afrika unterwegs", erzählt Titz. Wenn am Sonntag Deutschland gegen Argentinien spielt, will er aber auf jeden Fall vor dem Fernseher sitzen.

(naf)
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