Mönchengladbach Wie eine Prachtstraße entsteht

Mönchengladbach · Hauptverkehrsstraße, Denkmalallee, Gladbachs grünste Verkehrsader – das alles ist die Heinrich-Piecq-Anlage, ohne die der Verkehr in der Stadt vermutlich kollabieren würde. Bis vor 100 Jahren war sie allerdings ein tiefer Schnitt in der Landschaft, durch die Güterzüge zuckelten.

Stadtmitte Die Abhänge waren steil. Dornenbüsche säumten den Weg bis zum Gleis. Es war ein Ort, an dem sich niemand aufhalten durfte. Und wo sich – abgesehen von wagemutigen Kindern – erst recht niemand aufhalten wollte. Das war bis vor ziemlich genau 100 Jahren so. Heute ist die Hermann-Piecq-Anlage zwischen der Hohenzollernstraße und der Sternstraße so etwas wie Gladbachs grünste Straße und zudem eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, ohne die Mönchengladbachs Kreislauf nur schwer in Fahrt zu halten wäre. Seit 1910 ist die Hermann-Piecq-Anlage eine Straße für Autos.

Tiefer Schnitt in der Landschaft

In der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die Eisenbahngesellschaften, im Rheinland und am Niederrhein Schienen zu verlegen. Der erste Zug von Gladbach nach Viersen zuckelte am 18. Oktober 1851 durch die Landschaft. Die Städte wuchsen immer mehr zusammen. Doch die Stadt Mönchengladbach endete damals noch ziemlich genau auf dem Hügel, auf dem heute die Kaiser-Friedrich-Halle steht. Auch dort verlegten die Planer der "Ruhrort-Crefeld-Kreis-Gladbacher Actiengesellschaft" Schienen, um den Personen- und Güterverkehr um die Stadt herum zu lenken. Eine Ortsumgehung, wie sie auch heute noch üblich ist. Eine gewaltige Brücke überspannte den tiefen Schnitt in der Landschaft. Aber auf der anderen Seite der Gleise standen praktisch nur noch wenige einzelne Häuser und die Lohmühle – frei in der Landschaft.

Immer mehr Güterzüge brachten auch über den Eisernen Rhein Rohstoffe nach Mönchengladbach. Die Stadt wuchs und wurde mehr und mehr zur Großstadt. Bald lag die Eisenbahnlinie auf der heutigen Hermann-Piecq-Anlage nicht mehr schön außerhalb, sondern mittendrin. Und dem bereitete einer ein Ende, der heute als großer Modernisierer der Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts gilt, der nach Balderich als der zweite Gründer Gladbachs angesehen wird und dem die Stadt ein Denkmal gesetzt hat: Hermann Piecq.

Piecq war von 1900 bis 1920 Gladbachs Oberbürgermeister. Er trieb das wohl ehrgeizigste Eisenbahn-Projekt in der Geschichte der Stadt voran. Einerseits wurden 1910 die Gleise zwischen Gladbach und Rheydt mit gigantischem Aufwand hochgelegt und Brücken gebaut. Und die Eisenbahntrasse entlang der heutigen Hermann-Piecq-Anlage verschwand ganz. Mit ihr der wohl imposanteste Bahnhof, den Gladbach jemals hatte: der Bahnhof Bökel, der an der heutigen Hohenzollernstraße direkt neben dem 1912 erbauten Landgericfht stand. Ein wuchtiges Bauwerk, das im Volksmund den Beinamen "Eisenbahnschloss" bekommen hatte, machte 1909 seine Pforten dicht und wurde in den 30er Jahren schließlich ganz abgerissen. Aus dem tiefen Graben mit Eisenbahnlinie wurde zügig eine der großzügigsten und prächtigsten Straßen der Stadt, wie Postkarten aus der damaligen Zeit zeigen. Die Dornenbüsche waren verschwunden.

(RP)
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