Mönchengladbach Wie die Stadt braun wurde

Mönchengladbach · Schlaglichter der Mönchengladbacher Geschichte, deren Spuren bis in die Gegenwart reichen, stellt die Rheinische Post in einer Serie vor. Heute: Als die Nazis 1933 die Stadt übernahmen und sie in wenigen Monaten gefügig machte.

 Das Hakenkreuz weht auf dem Rheydter Marktplatz: Im April 1933 verfolgen Tausende die Rede von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Rheydt. Zuvor wurde die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus Abtei gehisst.

Das Hakenkreuz weht auf dem Rheydter Marktplatz: Im April 1933 verfolgen Tausende die Rede von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Rheydt. Zuvor wurde die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus Abtei gehisst.

Foto: Stadtarchiv MG

Sie sind an vielen Stellen in der Stadt in den Boden eingemauert. Tausende Passanten gehen über sie hinweg, und es mögen viele von ihnen in Gedanken darüber stolpern. Es sind Stolpersteine des Künstlers Günter Demnig. Knapp 200 von ihnen liegen bereits in der Stadt. Jeder einzelne von ihnen erinnert an Mönchengladbacher Juden, Behinderte, Homosexuelle, Widerständler, die Opfer des Holocaustes und des Terrorregimes der Nazis wurden.

 Joseph Goebbels im April 1933 vor dem Rheydter Rathaus.

Joseph Goebbels im April 1933 vor dem Rheydter Rathaus.

Foto: Stadtarchiv MG

Und in ihrer Gesamtheit erinnern die kleinen Messingplatten an das wohl schrecklichste Kapitel der Weltgeschichte, das auch in Mönchengladbach mitgeschrieben wurde: den Nationalsozialismus. Man muss sagen: Einer der Hauptschreiber dieser menschenverachtenden Geschichte kam aus der Stadt — Joseph Goebbels.

Es dauerte nicht lange, bis die Nazis die Stadt in ihre Gewalt gebracht haben. Von der Machtübertragung Ende Januar 1933 auf Adolf Hitler bis zur vollständigen Kontrolle brauchte die NSDAP in Gladbach-Rheydt nur wenige Monate. Sie bedienten sich brutaler Mittel, schüchterten ein und wurden von staatlichen Einrichtungen kräftig unterstützt, schreibt Wolfgang Löhr in seinem Geschichtswerk "Loca Desiderata". Zwar erreichten die Nazis bei den Stadtratswahlen am 5. März 1933 die Mehrheit mit 44,6 Prozent, es war aber nicht die absolute Mehrheit. Die besorgte sie sich auf andere Weise: Die drei SPD-Vertreter wurden in der ersten Sitzung von SA-Leuten verprügelt, wenig später waren alle anderen Parteien verboten.

In seiner ersten Sitzung verlieh das Stadtparlament in der Kaiser-Friedrich-Halle dem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels die Ehrenbürgerwürde in einem "unwürdigen Schauspiel". Wenig später kam er selbst nach Rheydt und verkündete unter großem Jubel die bald anstehende Ausgemeindung Rheydts. Goebbels erklärte in seiner Rede: "Rheydt muss ein Eckstein des Nationalsozialismus werden."

Gewerkschaften, der Volksverein, Wirtschaftsverbände — alle bis Mai 1933 aufgelöst. Der Polizeipräsident ausgetauscht, Beamte und Beigeordnete entlassen. Auf den Rathäusern wehte die Hakenkreuzfahne. Der Rheydter Marktplatz hieß jetzt Adolf-Hitler-Platz, die Dahlener Straße wurde zur Joseph-Goebbels-Straße, die Rathenaustraße zur Göringstraße, die Richard-Wagner-Straße zur Adolf-Hitler-Allee, der Marienplatz zum Platz der SA und vieles mehr.

Die Nazis leisteten reichlich Arbeit in kürzester Zeit, bis Mönchengladbach und Rheydt nationalsozialistisch durchsetzt waren. Beide Städte wurden zu gehorsamen Befehlsempfängern, deren Bürger bis auf wenige Ausnahmen wie Widerstandskämpfer Theo Hespers, einige Privatleute, frühere Parteifunktionäre der KPD und SPD und ein paar Geistliche dem Regime in der Öffentlichkeit nicht allzu kritisch begegneten.

Jüdische Geschäfte wurden schon 1933 boykottiert, auf höchsten Befehl hin: "Bei notwendigen Anschaffungen für die städtischen Ämter sind Warenhäuser und jüdische Geschäfte nicht mehr zu berücksichtigen", verfügte Gladbachs Oberbürgermeister Peter Handschumacher am 1. April. Es blieb aber nicht beim Boykott. In der Nacht auf den 10. November 1938 steckten SA-Leute die Synagoge an der Blücherstraße in Brand und hinderten die Feuerwehr daran, zu löschen. Beim Brand der Synagoge in Rheydt bespritzen Feuerwehrleute die umstehenden Häuser, damit die kein Feuer fingen. Die Synagoge überließen sie den Flammen.

Jüdische Geschäfte wurden zerstört, geplündert, jüdische Betriebe zum Spottpreis verkauft. 1939 gab es kein jüdisches Unternehmen mehr in beiden Städten. Juden wurden verfolgt, verhaftet und in Konzentrationslager deportiert. Insgesamt sind 764 Juden aus der heutigen Stadt Mönchengladbach Opfer des Holocausts geworden. Hinzu kommen hunderte geistig behinderte Bewohner Hephatas und des Hardter Josephshaus. Es sind noch viele Stolpersteine zu legen.

Zum Weiterlesen: Es gibt unzählige Literatur zum Nationalsozialismus in Mönchengladbach, zum Holocaust und zum Widerstand. Eine Übersicht bietet: Löhr, Wolfgang (Hg.): Loca Desiderata.

(RP)
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