Herbert Busch Wer sich wohlfühlt, wählt keinen Extremismus

Mönchengladbach · Herbert Busch von der Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen spricht über Fundamentalismus, Psychokulte und Menschen in Krisensituationen. Und er nennt Anhaltspunkte, weshalb deutsche Frauen sich den Salafisten anschließen.

Herbert Busch: Wer sich wohlfühlt, wählt keinen Extremismus
Foto: Ilgner Detlef (ilg)

Die Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen des Bistums Aachen informiert und berät in allen Fragen zu Sekten, religiösen Gruppen, Psychokulten und esoterischen Strömungen. Welche Gruppen gibt es in Mönchengladbach und was beschäftigt Sie aktuell besonders?

Herbert Busch In einer Großstadt wie Mönchengladbach ist das gesamte Spektrum an fundamentalistischen, esoterischen und extremistischen Gruppen anzutreffen. Ohne Anstrengung findet man alle Arten von Gruppen, die sich mit Esoterik, Okkultismus und Spiritismus beschäftigen oder zu politisch beziehungsweise religiös extremistischen Richtungen gehören. Dass die Salafisten in Mönchengladbach sehr aktiv waren und auch noch nicht verschwunden sind, ist bekannt. Aber es gibt in den letzten Jahren auch verstärkt Anfragen zu christlich-fundamentalistischen Gruppen. Dazu gehören freikirchliche Bewegungen aus den USA ebenso wie Gruppen, die ihre Ursprünge in Asien, Afrika und Lateinamerika haben und mit Migranten nach Deutschland gekommen sind. Da sind viele Ideen, beispielsweise im Bereich von Heilungen, nicht kompatibel mit europäischen Vorstellungen. Und natürlich gibt es auch radikale Gruppen im Bereich der Kirchen.

Was macht für Sie eine Sekte aus? Wann ist sie gefährlich?

Busch Erst einmal muss man sagen, dass der Begriff Sekte ein Kampfbegriff der Kirche ist. Wir sollten vorsichtig sein, wenn wir Etiketten aufkleben. Aber gefährlich sind Gruppen dann, wenn sie einen Absolutheitsanspruch erheben, ein überzogenes Elitebewusstsein vermitteln und den Verzicht auf alle anderen Entwicklungsmöglichkeiten verlangen. Die Mitglieder sollen alles auf eine Karte setzen und sich von ihrem alten Freundeskreis lösen. Besonders gefährlich wird es dann, wenn Andersdenkende oder Andersgläubige verachtet oder aktiv bekämpft werden sollen.

Wer ist anfällig für Psychokulte und extremistische Gruppen?

Busch Wer sich wohlfühlt, wählt keinen extremen Ausweg. Und niemand geht in eine Sekte, um sich sein Leben zu ruinieren. Menschen, die unter Druck stehen oder an Wendepunkten im Leben angekommen sind, sind oft auf der Suche. Gerade im mittleren Alter suchen beispielsweise Freiberufler, die unter hohem Zeitdruck arbeiten, nach neuen Wegen zur Stressreduktion oder zu mehr Effizienz und geraten dabei an den Falschen. Es gibt da Anbieter im esoterischen Bereich, die übergriffig werden. Frauen sind nach der Familienphase auf der Suche nach Möglichkeiten, Emotionalität auszuleben. In unserer funktionellen Gesellschaft kommt das meist nicht vor. Anfällig für die Methoden der Scientologen sind dagegen Menschen, für die es erstrebenswert ist, immer mehr Macht aufzubauen und andere Menschen zu "handhaben", wie es die Scientologen nennen.

Also geht es um Stressabbau und Gesundheit, aber auch um Macht. Spielt auch die Gottessuche eine Rolle?

Busch Ja, das Bedürfnis nach Religion ist ja nicht weg, aber das Vertrauen in die kirchlichen Institutionen. Viele bedienen sich da im weltanschaulichen Supermarkt und kreieren ihren eigenen Mix. Das kann aber gehörig auf den Magen schlagen. Wer in eine fundamentalistische Gruppe gerät, bei dem gehen die Verletzungen oft tief. Religion ist ein scharfes Schwert und wenn der Guru anscheinend Gott auf seiner Seite hat, ist es schwerer, sich wieder zu lösen.

Was macht den Reiz solcher Gruppen aus? Warum gibt es beispielsweise deutsche Frauen, die sich mit den Salafisten identifizieren und komplett verhüllen?

Busch Es ist auch ein Zeitphänomen. Die drastischen Vereinfachungen, die fundamentalistische oder extremistische Gruppen anbieten, scheinen in einer komplexen Welt attraktiv zu sein. Es fehlt auch zunehmend eine Wertevermittlung in der Familie und im gesellschaftlichen Umfeld. Allerdings gab es die Neigung, extremere Antworten auszuprobieren, zu allen Zeiten in der Jugend. Das Sich-Reiben an Autoritäten gehört nun mal dazu. Aber zu einer gesunden Entwicklung gehören Leitplanken, ein Wertesystem, das Orientierung ermöglicht. Wer darüber verfügt, kommt mit solchen Gruppen in Kontakt und verlässt sie wieder, ohne Schaden zu nehmen. Bei einer nichtgefestigten Persönlichkeitsstruktur kann das sehr schwierig sein. Was Frauen zu den Salafisten treibt, ist zwar immer noch ein Rätsel, aber es gibt Anhaltspunkte. Einige haben traumatische Erfahrungen hinter sich und suchen diese engen religiösen Außenbedingungen als Schutz. Früher wären sie vielleicht in ein Kloster gegangen. Und — so simpel das klingen mag — Liebe macht blind. Einige folgen auf Gedeih und Verderb dem Mann, in den sie sich verliebt haben.

Sie haben von einem Zeitphänomen gesprochen. Sekten und extremistische Gruppen gab es doch aber immer.

Busch Ja, aber wir erleben heute in allen Beratungsbereichen, dass immer mehr Menschen psychisch krank sind und verstärkt Hilfe brauchen. Depressionen und Angststörungen greifen um sich. Der Neo-Mythos, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist, macht krank. Die Leute können nicht mehr abschalten, sind ständig erreichbar, haben keinen Feierabend, aber 15 Standby-Kontakte. Wo wird uns denn vermittelt, wie wir in dieser schnelllebigen Welt nicht verrückt werden? Wie gehe ich mit meinen Kräften um, ist eine ganz wichtige Frage, auf die wir meist keine Antwort haben. Menschen in freien Gesellschaften wie der unseren brauchen Unterstützung. Die Sekten zeigen uns, wo wir in der Gesellschaft Defizite haben. Das Schlimmste ist meiner Meinung nach, dass die Realität selbst vor allem in der Wirtschaft etwas Kulthaftes hat. Unternehmensberater agieren als Gurus für kränkelnde Unternehmen.

Was können Sie tun, wenn sich Betroffene, die aus einer Gruppe aussteigen wollen, an Sie wenden? Und warum gibt es überhaupt Aussteiger?

Busch Aussteiger gibt es, weil überall nur mit Wasser gekocht wird. Irgendwann stellt ein Suchender fest, dass seine Bedürfnisse auch in der Gruppe nicht erfüllt werden, dass von ihm Dinge verlangt werden, die er nicht leisten will. Der Versuch, sich zu lösen, ist aber nicht einfach, vor allem, wenn derjenige zuvor alle Brücken abgebrochen hat. Ohne Gruppe ist er dann völlig isoliert. Wir versuchen, Menschen in solchen Krisensituationen beizustehen und ihnen zu helfen, einen selbstständigen Weg zu finden. Dieser Weg kann ganz unterschiedlich aussehen: Manche setzen nie wieder einen Fuß in eine Kirche, andere wagen einen spirituellen Neuanfang. Wir versuchen ihnen in jedem Fall beizustehen.

Wenden sich auch Angehörige an Sie?

Busch Etwa zwei Drittel der Anfragen kommen von Angehörigen, ein Drittel von Betroffenen selbst. Seit neuestem bieten wir auch eine E-Mail-Beratung an. Der Schutz der Anonymität ist vielen wichtig.

INGE SCHNETTLER, DIETER WEBER, GABI PETERS UND ANGELA RIETDORF FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort