Mensch Gladbach Wenn Bürger aus Notwehr exzellent werden

Mönchengladbach · Sie sorgen dafür, dass die Stadt professionell geplant wird. Sie wehren sich gegen Extremisten. Sie machen die Stadt sauber. Sie organisieren Events, die diesen Namen verdienen. Die Bürger machen längst alles selber. Und das ist meistens richtig gut so. Schade nur, dass es aus Notwehr passiert.

Albert Einstein ist auch schon wieder 60 Jahre tot. Was Sie unter anderem an diesem Satz erkennen können: "Der Staat ist für die Menschen da und nicht die Menschen für den Staat." Das war einmal. Ist aber länger her. Zumindest in Mönchengladbach. Vier Beispiele jüngeren Datums.

Erstens: Einfach nur, um das blöde und falsche Argument zu widerlegen, die Stadt habe für so was kein Geld, haben Mönchengladbacher Bürger der Stadt einen Masterplan geschenkt. Für mehr als 600 000 Euro. Damit es voran geht in der Stadt, und zwar mit Sinn und Verstand. Zweitens: Weil die Stadt es über Jahrzehnte als Gott gegeben ansieht, dass es hier dreckig ist, haben Bürger einen Verein gegründet und finanziell ausgestattet, dessen Ziel es ist, die Stadt sauberer zu bekommen. Drittens: Es waren Bürger, die aufschreckten, als Salafisten Mönchengladbach offiziell zu einem ihrer Zentren erklären wollten. Sie protestierten so ausdauernd, bis die Salafisten sich zurückzogen. Seither verbreiten die Extremisten günstigstenfalls ihre kruden Theorien und schlechtestenfalls Angst und Schrecken von woanders aus. Viertens: Da es in Mönchengladbach keine Veranstaltungen gab, die es in Krefeld, Neuss und erst recht in Düsseldorf und der noch größeren Stadt am Rhein nicht in schöner und besser gab, taten sich Bürger zusammen, um dies zu ändern. Seither kennen der Dalai Lama oder Vivienne Westwood Gladbach - und viele Düsseldorfer und Kölner kommen hier her, weil es in ihren Städten so etwas nicht zu erleben gibt.

Diese Medaille hat zwei Seiten. Und zwar sehr unterschiedliche. Ich fange mit der strahlenden an: Es ist schlicht großartig, was Bürger in dieser Stadt nicht nur können, sondern auch tun. Und da haben wir über die vielen kleinen Initiativen, die in hunderten Stunden Arbeit, die ihnen und der Stadt Ehre machen, noch gar nicht gesprochen. Egal ob Großstadt-Gefühl wie beim Urban Gardening oder Lust am dörflichen Zusammenhalt wie bei Schützen und Karnevalisten - die Bürger machen's. Und das auch noch verdammt gut. Davor ziehe ich alle Hüte, die ich nicht habe. Und weil der Kopf deswegen gelüftet wird, kommen mir ein paar Fragen in den Sinn. Und damit bin ich bei der matten und stumpfen Seite der Medaille.

Seit wann ist die Stadt nicht mehr in der Lage, Stadtplanung zu machen? Wann und wodurch ist ihr die Kompetenz, die Vision und der Mut abhanden gekommen? Und wie gewinnt sie all das zurück? Oder ist das für alle Zeiten verloren? Darf man die Stadt aus ihren hoheitlichen Aufgaben - wie für Sauberkeit und Ordnung zu sorgen - überhaupt entlassen? Zumindest, solange man Steuern zahlt? Warum kann eine Stadt nicht das, was ihre Bürger können: unmissverständlich Stellung beziehen gegen Extremismus? Die Voraussetzungen für Exzellenz schaffen? Was ist denn eigentlich die Stadt? Ein Rondell mit Stempeln zum Ablehnen von Anträgen? Eine Verhinderungsanstalt?

Und vor allem: Wo endet das alles? Wahrscheinlich rufen die mich demnächst an und sagen: Wir haben es leider nicht geschafft, unsere Zulassungsstelle gescheit zu organisieren. Kommen Sie mal schnell und setzen sich zwei Stunden an den Schalter.

Und dann?

(RP)
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