Boxtraining mit Ina Menzer "Wehe, du hast morgen keinen Muskelkater"

Mönchengladbach · Sie ist 1,65 Meter groß, sympathisch und ihr rechter Haken hat ordentlich Wumms. Wenige Wochen vor Ina Menzers letztem Boxkampf durfte RP-Mitarbeiterin Sarah Biere mit ihr in den Ring. Eine schweißtreibende Erfahrung.

Muskelkater garantiert: Ein privates Boxtraining mit Ina Menzer
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Muskelkater garantiert: Ein privates Boxtraining mit Ina Menzer

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Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Ein Boxtraining mit Ina Menzer. Je näher das Training rückt, desto mehr bin ich davon überzeugt, dass es eine Schnapsidee war. Wie soll ich mich bitte mit der amtierenden Europameisterin und Ex-Weltmeisterin im Federgewicht im Boxring messen? Mit aufmunternden Worten versuchen die Kollegen mich bei Laune zu halten — ihre schadenfrohen Gesichter können sie sich dennoch nicht verkneifen. Innerlich verfluche ich den zuständigen Sportredakteur.

Um nicht völlig unvorbereitet bei den Faustkämpfern Mönchengladbach — dem Heimatverein von Ina Menzer — aufzulaufen, noch rasch der Blick ins Internet: Die Bilder, die ich zu sehen bekomme, rauben mir endgültig den Mut — blutige Nasen, aufgeplatzte Schläfen und schmerzverzerrte Gesichter. Auf ihrer Facebook-Seite präsentiert sich die 32-jährige Power-Frau Ina Menzer in Bestform. Die Videos vom harten Trainingsprogramm machen deutlich: Ina Menzer will ihre WM-Titel am 24. August im Gladbacher Hockeypark auf jeden Fall zurückerobern. Ich fahre meinen Computer herunter. Auf dem Weg zum Auto erinnere ich mich an die Worte von Inas PR-Beraterin: "Nimm dir auf jeden Fall ein Handtuch und eine große Flasche Wasser mit" — so langsam verstehe ich, was sie damit meinte.

Ortswechsel: In der Sporthalle der Faustkämpfer steht schon vor Trainingsbeginn warme, stickige Luft. Verloren stehe ich an der Seite und schaue den Freizeitboxern beim Aufwärmen zu. Anscheinend gibt es fürs Boxen keine Altersbegrenzung — ich entdecke Kinder und Jugendliche ebenso wie Senioren. Es ist kurz vor 18 Uhr. Jeden Moment müsste Ina Menzer um die Ecke kommen. Ich bin nervös.

Plötzlich wird es draußen vor der Halle unruhig. Eine zierliche Person im knallpinken Sommerkleid und Sandalen wird von allen Seiten stürmisch begrüßt. In Windeseile revidiere ich all meine Vorurteile: Die Frau, die mich begrüßt, strahlt fröhlich über das ganze Gesicht — "sag bitte Ina zu mir". Die Gladbacherin schüttelt fleißig Hände, umarmt alte Freunde — die Profi-Boxerin fühlt sich in ihrem Heimatverein rundum wohl. Schnell wird mir klar: Ina Menzer ist eine Person, mit der man sich identifizieren kann. Ihre Natürlichkeit ist ansteckend, schlagartig fallen Angst und Skepsis von mir ab. Neidisch betrachte ich Inas trainierte Arme und Beine — vom gestählten Waschbrettbauch einmal abgesehen. Mein sportlicher Ehrgeiz ist geweckt.

Mit einem Lächeln auf den Lippen dreht sich Ina zu mir um: "Na, dann wollen wir dich mal fertigmachen", sagt sie und verschwindet in der Umkleidekabine. Wenig später ist das Sommerkleid gegen ein rosafarbenes Trainings-Shirt ausgetauscht, die langen Haare sind zum praktischen Zopf gebunden. Das Aufwärmtraining kann beginnen. Noch bin ich guter Dinge — ein bisschen warmlaufen wird schon gehen, immerhin jogge ich ja regelmäßig. Eigentlich ganz einfach. Ina macht vor, ich mache nach: Seitlauf, Arme kreisen, Kniebeugen, Hampelmann-Sprünge. So weit, so gut. Ich schwitze, aber meine Kondition spielt mit. "Jetzt machen wir Liegestützen", sagt Ina und stemmt sich mit den Armen vom Boden ab. "Zehn musst du schaffen." Jetzt ist Schluss mit lustig: Während Ina ein Wahnsinnstempo vorlegt, kämpfe ich mich jeden Zentimeter gen Hallenboden und wieder aufwärts. Geschafft! Ich möchte wissen, wie das Training eines Box-Champion wenige Wochen vor dem Kampf aussieht: "Im Moment trainiere ich sechs Mal die Woche, etwa drei Stunden am Tag. Ich mache Schattenboxen, Sandsack- und Schnellkrafttraining", erläutert Ina. Jetzt wundert mich auch das Liegestütz-Tempo nicht mehr.

Seilchenspringen, Rückentraining und Sit-ups werden mir erspart — ich darf mit meiner ersten Übung am Sandsack beginnen. Doch zuerst die Boxhandschuhe. Erleichterung macht sich breit — ich hatte mir die unförmigen Handschützer schwerer vorgestellt. Fasziniert beobachte ich, wie Ina routiniert ihre Fingerknöchel bandagiert — in Rosa versteht sich. "Warte ab, bis du meine Handschuhe gesehen hast. Da sind Blümchen drauf", sagt die Federgewichtlerin und lacht. Ihre Botschaft ist klar: Boxen und Weiblichkeit schließen sich nicht aus.

Am Sandsack erklärt Ina mir meine erste Übung — "erst mit links, dann mit rechts schlagen, das reicht für den Anfang". Ab jetzt geht das Training für mich nach der Uhr. Boxtrainer Waldemar Altergott (58), der Ina Menzer bereits als 16-Jährige trainierte, achtet penibel genau darauf, dass sich seine Boxer an die Zeit halten: "Die Uhr lügt nie", sagt er und grinst. Bereits nach den ersten drei Durchgängen, weiß ich, was er meint. Ein schrilles Piep signalisiert den Beginn der nächsten Trainingsphase, ein erneutes Piiiiieeep das Ende. "Drei Minuten Arbeit, eine Minute Pause. Das machen wir jetzt zwei Stunden lang", ergänzt Altergott. Ich hoffe, dass ich mich verhört habe.

Nach und nach werden die Kombinationen komplexer. "Deine Koordination ist gut, ich bin beeindruckt", sagt die Profi-Boxerin. Ich freue mich über das Lob. Inzwischen bin ich schweißgebadet, beruhigt stelle ich aber fest, dass auch Ina schwitzt. Rechts-Links-Kombination, hoher Haken und Ausweichmanöver — gar nicht so leicht, sich die ganzen Abfolgen zu merken. Vor lauter Konzentration vergesse ich meine Deckung und werde dafür prompt von Edwin Keller gerügt: "Wenn du dich nicht richtig deckst, kriegst du im Kampf einen Schlag und bist sofort k.o.", sagt der Elfjährige ungerührt. Seit zwei Jahren boxt Edwin bei den Faustkämpfern — er weiß also, wovon er redet.

Inzwischen sind fast zwei Stunden Training um. Es fällt mir immer schwerer, meine Arme oben zu halten. "Ich ziehe mir jetzt ein frisches Shirt an und dann darfst du mal ein bisschen auf mich einkloppen", sagt Ina. Im provisorisch umzäunten Boxring versuche ich, noch einmal alle Kräfte zu mobilisieren. Die Power-Frau hält mir Pratzen hin (Schaumstoff-Schützer für die Hände) — an denen ich beweisen soll, dass ich etwas gelernt habe. "Du wirfst auf jeden Fall nicht mit Wattebäuschen", lobt Ina meine Bemühungen. Doch auch sie merkt, dass ich nicht mehr kann. "Ich glaube, das reicht für heute. Aber wehe, du hast morgen keinen Muskelkater." Ich befreie meine Hände aus den Boxhandschuhen und möchte direkt zu Block und Stift greifen. All die Eindrücke müssen ja festgehalten werden. Aber meine Hände gehorchen mir nicht sofort — sie zittern vor Erschöpfung.

Zum Schluss möchte ich von Ina wissen, wie sie es schafft, bis zum Kampf noch vier Kilo abzunehmen. Federgewichtler dürfen maximal 57 Kilo wiegen. An dem Power-Paket von Frau ist schon jetzt kein Gramm Fett zu finden. "Ich sage immer, ich nehme vor dem Kampf mein Gehirn raus — dann passt das", scherzt sie. In Wahrheit ist der Gewichtsverlust jedoch harte Arbeit. "In der Woche vor dem Kampf trinken wir nur noch einen halben Liter am Tag. Trotzdem wird normal weitertrainiert", erläutert Ina. Hinzu komme das Wiegen: "Ich wiege mich drei Mal am Tag, dann weiß ich genau, wo ich stehe und wie viel ich verbrenne." Kohlenhydrate sind natürlich vom Speiseplan verbannt: "Für die Energie esse ich Walnüsse. Die geben Power und bewirken nichts auf der Waage. Ansonsten esse ich Steak, ein bisschen Salat und für die Nerven gibt es ein Glas Wein", erzählt Ina. Ich bin beeindruckt von so viel Disziplin. Dann macht die schöne Boxerin plötzlich ein unerwartetes Geständnis: "Manchmal fühle ich mich wie ein Mann im Kleid."

Zwei Tage später: Ich entdecke bislang unbekannte Muskelgruppen. Danke Ina, es war wunderbar — trotz Jahrhundert-Muskelkater.

Hintergrund: Am 3. Juli 2010 verlor Ina Menzer auf einen Schlag alle ihre drei WM-Gürtel. Mit dem Kampf am 24. August beendet sie ihre Boxkarriere. Bilder vom Boxtraining gibt es auf www.rp-online.de/moenchengladbach.

(bis)
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