Mönchengladbach Was für ein Mensch !
Mönchengladbach · Er legte sich mit der Kirche und der Welt an – und war dabei der sanfteste Revolutionär, den man sich vorstellen kann. Seine Waffen gegen Armut und Ungerechtigkeit waren Liebe und Schalk. Eine Stadt verneigt sich voller Wärme.
Er legte sich mit der Kirche und der Welt an — und war dabei der sanfteste Revolutionär, den man sich vorstellen kann. Seine Waffen gegen Armut und Ungerechtigkeit waren Liebe und Schalk. Eine Stadt verneigt sich voller Wärme.
Den halben Eddi kann man schon alleine mit drei Anekdoten erklären. Die erste: Als er Pfarrer der Münster-Gemeinde war, legte er für die Eichhörnchen eine kleine Spur mit Nüssen die Pfarreitreppe hinauf. Irgendwann hatte er eines der scheuen Tiere so weit, dass es in seinem Arbeitszimmer auf seinem Schreibtisch hockte, während er seine Predigten schrieb. Die zweite: Bevor er letztes Jahr in Bielefeld kurz vor Mitternacht notoperiert werden musste, um die Querschnittslähmung zu verhindern, fragte er den Neurochirurgen: "Wie? Sie müssen jetzt noch arbeiten?" Und die dritte: Als ihn die Leser der Rheinischen Post 2011 aus einer Liste von 50 Prominenten mit riesiger Mehrheit zu "Gladbachs Bestem" wählten, war er erst geschockt und dann von Herzen erfreut. "Ich bin fest davon ausgegangen, dass eine Fußballgröße gewinnt. Ich hätte entweder für Franz Brandts oder für jemandem von Borussia abgestimmt."
Und die andere Hälfte von Eddi? Das ist der Priester, der Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen zu Festen der Menschlichkeit machte — auch wenn die dann manchmal mit dem katholischen Ritus nur noch bedingt zu tun hatten. Das ist der Pfarrer, der oft Sachen predigte, von denen es besser war, dass Rom davon nichts wusste. Der auf Gehalt verzichtete, weil er fand, er bekomme unangemessen viel. Das ist der Mann, der bei aller Feinsinnigkeit politisch holzschnittartig sein konnte. Das ist der Pfarrer, der erst so erzkonservativ war, dass ihm das Vatikanische Konzil viel zu liberal war — und später dann so liberal, dass ihm die katholische Kirche viel zu regelgeleitet war. Das ist der Propst, der sich mit Bischof Mussinghoff fetzte, sich erst vor ein paar Wochen mit ihm zum herzlichen Austausch traf und vor einer Woche zum 75. Geburtstag von Mussinghoff im Aachener Dom war. Das ist der Seelsorger, dem es keine Ruhe ließ, wenn es anderen schlecht ging. Der bei Borussia-Siegen die Glocken läutete. Und der Mann, dem es im vergangenen Jahr, als er schwer krank war, vor allem deswegen schlecht ging, weil ihm die Kraft fehlte, anderen zu helfen.
Er war kein Herr Erlemann. Er war der Eddi — für den Oberbürgermeister genauso wie für den Obdachlosen. Und für Kardinal Lehmann. Als der 2008 zum 80. Geburtstag von Professor Rauscher nach Gladbach kam und vor der Erholung aus dem Auto stieg, fragte er als erstes: "Wo ist Eddi?" Vor allem war Eddi ein Mensch, der andere Menschen an ihr Menschsein erinnerte. Daran, worauf es ankommt im Leben. Nämlich auf Liebe, Güte und Respekt. Er machte das scheinbar mühelos — dadurch, wie er selbst war und wie er auf andere zuging. Dabei machte in Wahrheit der beständige Windmühlen-Kampf um mehr Gerechtigkeit und Würde in der Welt unendliche Mühe. Er war 24 Stunden am Tag Eddi. Für den Volksverein. Für die Flüchtlinge. Für die Obdachlosen. Für die in Not. Für die in Trauer. Aber auch für die, die ihre Freude teilen mussten. Das Prinzip radikaler Menschlichkeit ist in Zeiten, wo viele ihre Wurzeln selbst ausgebuddelt haben, etwas sehr Modernes. Eddi war modern bis zu seinem letzten Atemzug. Als er am 1. Weihnachtstag nach schwerster Krankheit wieder sein erstes Lebenszeichen auf Facebook postete ("Eddi wünscht allen gesegnete, frohe Weihnachten!"), da hatte er binnen kürzester Zeit fast 350 Likes und 150 Kommentare.
Von Menschen, die in Alter und Weltanschauung nicht unterschiedlicher sein könnten. Eddi war der Franziskus für Gladbach. Der größte gemeinsame Nenner, den sich eine Stadt vorstellen kann. Gestern um 12 Uhr sollte er seinen Freund Stephan Lingnau, ebenfalls Gründungsmitglied der Stiftung Volksverein, beerdigen. Um Schlag 12 starb Eddi im Franziskus-Krankenhaus an den Folgen eines Blutgerinsels im Gehirn. Eine ganze Stadt verneigt sich voller Wärme und Dankbarkeit.