Mensch Gladbach Warum ich mich Dinosauriern so verbunden fühle

Mönchengladbach · Ich bringe meine Kinder nicht nachts in die Kita und freue mich, wenn es vorangeht in Gladbach. Außerdem deale ich nicht, zocke nicht und gehöre nicht einmal einer wirklich radikalen Glaubensgemeinschaft an. Kurz und gut: Ich bin akut vom Aussterben bedroht. Bis dahin geht es mir aber ziemlich gut.

Ja, ich weiß: Es gibt Eltern, die brauchen zwei volle Einkommen, um halbwegs klar zu kommen. Und es werden immer mehr. Ja, ich weiß: Es ist schön, wenn Menschen sich nur in der Familie, sondern auch in der Arbeitswelt verwirklichen können. Ich weiß aber auch: Es gibt Eltern, die glauben, vor allem deshalb so viel arbeiten zu müssen, um der Familie einen größeren Flachbildfernseher, ein stärkeres Auto und den Kindern die neueste Konsole kaufen zu können. Und es werden immer mehr. Es gibt Eltern, für die sind Kinder in erster Linie ein weiterer, unheimlich aufwendiger Termin, der in all die elektronischen Kalender eingetragen und verwaltet werden will. Und es werden immer mehr.

Der pfiffige Warenhaus-Anbieter Manufactum verspricht ja mit nostalgisch-verklärtem Blick: Es gibt sie noch, die guten Dinge. Ich frage mich seit längerem: Gibt es sie noch, die guten, alten Familien? In denen Eltern ihre Zeit am liebsten in ihre Kinder investieren. Und zwar nicht, um sie zu getunten Abziehbildern ihrer selbst zu machen, die auf irgendwelchen vermuteten Märkten die Nase vorn haben sollen. Sondern, weil es eine unvergleichliche Freude ist, Menschen beim Mensch-Werden zuzusehen, eine Freude, für die sich viel Verzicht lohnt. Mich jedenfalls lässt die Nachricht von Kindertagesstätten, in denen man seine Kinder demnächst theoretisch rund um die Uhr abgeben oder abholen kann, nicht frohlocken, wie die Gladbacher SPD, sondern schaudern.

Aber ich weiß: Der Zeiten Lauf ist über mich hinweggerollt. Ich komme in vielem nicht mehr mit. Ich freue mich ja auch, wenn was gut läuft in Gladbach und es möglichst vielen möglichst gut geht. Ein hoffnungsloser Fall bin ich. Die Trendgefühle unserer Zeit gehen ja ganz anders: Neid, gefüttert von der Sorge, woanders könnte gerade das wahre Leben spielen, das man zu verpassen droht. Und Häme, wenn anderen etwas misslingt. Man musste ja fast den Eindruck haben, es sorge für größeres Glück in der Stadt, wenn Konzertveranstalter Lieberberg es nicht schafft, ein Festival in die Stadt zu holen. Oder wenn hier kein Mega-Freizeitpark entsteht. Weil man dann wenigstens Häme auskübeln kann: Über all jene, die es vermeintlich verbockt haben, zu dumm, zu übelmeinend oder was auch immer sind. Und wenn es jetzt doch klappt? Am Ende hier die ganz Großen rocken? Oder Hunderttausende aus halb Europa in den Freizeitpark kommen? Dann bleibt bestimmt noch was zum Erregen übrig. Irgendwas wird schon nicht funktionieren. Der Verkehr, die Beschilderung, das Wetter.

Und wenn gar nix mehr hilft, kann man sich ja immer noch über Asylanten aufregen, die Drogen verkaufen, und daraus krude Theorien schmieden über den Zusammenhang von Herkunft und krimineller Neigung. Kann nachweisen, dass alle Salafisten, Rocker und Zocker dieser Welt sich natürlich Mönchengladbach als Headquarter für ihre sündigen Umtriebe erwählt haben.

Ich für meinen Teil spüre zunehmend eine tiefe Verbundenheit mit possierliche Tierchen mit schwer zu buchstabierenden Namen wie Ichthyosaurus und Velociraptor. Auszusterben gibt einem offenbar die nötige Gelassenheit, das Restleben zu genießen. Also mir jedenfalls geht es trotz alledem gut.

(RP)
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