Mönchengladbach Vormittags Zirkusschule, abends Manege

Mönchengladbach · In einem Wohnwagen unterrichtet Lehrerin Johanna Marstaller den Nachwuchs des Zirkus Roncalli. Sogar den Abschluss der Mittleren Reife können die Schüler in der rollenden Schule ablegen. Nur spicken kann man nicht.

 Schulbänke gibt es hier nicht: Lehrerin Johanna Marstaller unterrichtet Lili und Justin in einem Wohnwagen. Seit vier Jahren reist die Lehrerin gemeinsam mit dem Zirkus Roncalli durchs Land und unterrichtet den Nachwuchs.

Schulbänke gibt es hier nicht: Lehrerin Johanna Marstaller unterrichtet Lili und Justin in einem Wohnwagen. Seit vier Jahren reist die Lehrerin gemeinsam mit dem Zirkus Roncalli durchs Land und unterrichtet den Nachwuchs.

Foto: Isabella Raupold

Wenn Justin (7) morgens zur Schule geht, läuft er quer über den Platz und öffnet die Tür zum Wohnwagen seiner Lehrerin. In seinem Schulalltag gibt es keine Schulglocke morgens um acht Uhr, keine grüne Tafel, keine Kreide — und keinen Sportunterricht. Dafür geht Justins Schule mit auf Reisen, von Mönchengladbach geht es nach Köln, dann weiter nach Salzburg.

Seit 20 Jahren gibt es die "Schule für Circuskinder in NRW" unter der Trägerschaft der evangelischen Kirche im Rheinland nun schon, die auch von den Nachwuchskräften des Roncalli-Ensembles besucht wird. Bis zur Mittleren Reife können sie hier unterrichtet werden.

So wie Lili. Die Fünfzehnjährige lernt gerade für ihren Realschulabschluss. Noch drei Wochen, dann sind die Abschlussprüfungen. Da heißt es Büffeln. Morgens stehen quadratische Gleichungen auf dem Programm, abends der nächste Auftritt in der Manege. Gemeinsam mit ihren Geschwistern führt sie abends die vielumjubelte artistische Rollschuh-Show auf.

Abschreiben unmöglich

Privatlehrerin Johanna Marstaller begleitet die Schülerin bereits seit vier Jahren. "Es macht unheimlich viel Spaß", sagt sie. Die Arbeit ist so intensiv, dass sie sich die Arbeit vor einer ganzen Klasse gar nicht mehr vorstellen kann. Lili und Justin bekommen in der Zirkus-Schule Einzelunterricht. "Da gibt es keine Chance, zwischendurch mal abzutauchen", sagt Lili mit einem Lächeln. Auch Abgucken beim Nachbarn während Klausuren ist ohne Mitschüler nicht möglich.

Der Unterricht beginnt jeden Morgen um neun Uhr. Drei Stunden lernt Johanna Marstaller dann mit Justin oder Lili. Danach ist Pause. Und die sei häufig auch nötig, sagt die Lehrerin: "Die Arbeit ist hier viel konzentrierter." Gearbeitet würde immer an einem Thema, bei dem bestimmte Lernziele erreicht werden müssten. Eine Schulglocke unterbricht die Arbeit dabei nicht. "Wir haben zwar feste Anfangs- und Endzeiten, aber dazwischen sind wir total flexibel", sagt Johanna Marstaller. Der Lernstoff kann so besonders gut abgestimmt werden.

Bei Justin steht heute im Deutschunterricht die Geschichte "Das Dschungelbuch" auf dem Programm. Justin erzählt, was er vom Bären Balu, dem Jungen Mogli und den anderen Charakteren behalten hat. Dann übt er in seinem Heft, die Tiernamen zu schreiben. "Eigentlich macht mir Basteln am meisten Spaß", sagt er und Johanna Marstaller lacht. Lili sagt, ihr Lieblingsfach sei Englisch.

Unterricht über das Internet

Während Justin während der Winterpause noch eine normale Schule besucht, wird sie inzwischen auch über das Internet unterrichtet — gemeinsam mit Jugendlichen aus anderen Zirkussen. Von ihren Mitschülern kennt sie in der Regel nur die Stimmen, "ich weiß oft nicht mal, wie die Lehrer aussehen", sagt sie. Dafür baut der Lernstoff beim Internetunterricht aufeinander auf. Bei häufigen Schulwechseln je nach Spielort wäre das nicht gewährleistet. Stattdessen würde immer die Gefahr bestehen, dass Themen sich wiederholen, weil an den Schulen in unterschiedlichem Tempo und anderer Reihenfolge gelernt wird. Zudem müssten sich die Zirkus-Kinder dauernd an neue Lehrer und Mitschüler gewöhnen.

Lili kann sich auch nicht mehr vorstellen, eine normale Schule zu besuchen. "Für zwei Monate im Jahr ist ein fester Wohnsitz schön", sagt sie: "Aber danach wird es schnell langweilig". Sie blickt auf die Uhr. Bevor sie weiter für ihre Prüfungen lernt, will sie noch trainieren. "Der Tag ist sehr durchgetaktet", sagt Johanna Marstaller. Das Abitur will Lili trotzdem machen.

(RP)
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