Mönchengladbach Vom Wahlkampf eines Außenseiters

Mönchengladbach · Grüner als grün: Norbert Vitz kandidiert in Mönchengladbach bei der Landtagswahl für die V-Partei³ - der Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer. Weil die Partei so klein ist, ist der Wahlkampf für sie eine große Herausforderung.

 Norbert Vitz und Gisela Heynert betreiben Wahlkampfwerbung in der Innenstadt mit ihrem Stand.

Norbert Vitz und Gisela Heynert betreiben Wahlkampfwerbung in der Innenstadt mit ihrem Stand.

Foto: Christoph Reichwein

Im Rheydter Restaurant "Blue Angel" treffen sich an diesem Abend Veganer zum Stammtisch. Das Lokal ist gut besucht, Stimmengewirr füllt den Raum. Am Buffet bildet sich eine lange Schlange. Es gibt Spinat in Blätterteig, Couscous und veganen Milchreis. Norbert Vitz wirkt zufrieden. In einer Ecke des Lokals hat der Gladbacher Platz genommen. 60 Leute sind diesmal zum Stammtisch gekommen, erzählt er stolz. Vitz ist nicht nur Mitorganisator des Stammtisches, sondern auch Kandidat für die Landtagswahl. Der Stammtisch ist für ihn eine Gelegenheit, mit Parteikollegen, Mitgliedern und potenziellen Wählern ins Gespräch zu kommen.

Der 64-Jährige kandidiert nicht für eine der großen Parteien, sondern für eine der kleinen: die V-Partei³ (ausgesprochen: V-Partei hoch drei), die Partei für Veränderung, Vegetarier und Veganer. Bei der Landtagswahl in NRW tritt sie zum ersten Mal an, im April 2016 wurde sie gegründet. Acht Landesverbände gibt es inzwischen, mit insgesamt fast 1000 Mitgliedern, sagt Vitz. Der Landesverband NRW hat um die 155 Mitglieder. Zum Vergleich: Bei CDU und SPD waren es Ende Dezember bundesweit jeweils rund 430.000.

Entsprechend müssen sich die kleinen Parteien im Wahlkampf ganz anders behaupten als die etablierten: weniger Unterstützer, weniger Personal, weniger Geld. Politik ist Neben- und nicht Haupterwerb trotz der vielen Termine. Norbert Vitz, auch Generalsekretär der Partei in NRW, organisiert den Wahlkampf neben seinem Job als selbstständiger Informatiker. Und er tritt nicht nur bei der Landtags-, sondern auch bei der Bundestagswahl als Listenkandidat an.

Ob die V-Partei³ allerdings an der Bundestagswahl teilnehmen darf, ist noch offen. Die für die Zulassung zur Landtagswahl nötigen 1000 Unterstützer-Unterschriften hatte sie schnell zusammen, die für die Bundestagswahl aber noch nicht. Bis zu 2000 Unterschriften pro Bundesland sind nötig. Da packt Vitz gern mit an.

Er hat die Listen immer mit dabei, verrät der Mann mit dem hellgrünen T-Shirt und dem zum Zopf gebundenen, grauen Haar an diesem Abend. Er holt ein Klemmbrett mit Formularen aus der Tasche. Dazu ein Schild mit der Aufschrift V-Partei³, damit die anderen im Restaurant auch wissen, wo die Parteivertreter zu finden sind. Flyer hat er ebenfalls mitgebracht.

"Hast du schon unterschrieben?", fragt Vitz einen 18-Jährigen, der mit seiner Mutter zum Stammtisch gekommen ist. "Ist das für die Landtagswahl? Da habe ich schon", sagt der junge Mann, ebenfalls Veganer und Parteimitglied. "Nein, die ist für die Bundestagswahl", antwortet Vitz und schiebt ihm das Klemmbrett und einen Kugelschreiber rüber. Jeden, der an den Tisch kommt, fragt der 64-Jährige nach einer Unterstützer-Unterschrift. Nicht nur an diesem Abend, sondern auch bei jeder anderen Veranstaltung oder in seinem Privatleben. "Ich verbinde das mit meinem Alltag", sagt er. "Ich nutze es, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen." Etwa bei der Bäckersfrau, die ihm zwar sagte, sie werde nie Veganerin, ihm aber ihre Unterschrift gab. Das Unterschriftensammeln für die Bundestagswahl fällt so direkt mit dem Landtagswahlkampf zusammen.

Die Unterschriften zusammenzubekommen, ist aber nicht die einzige Herausforderung, der sich die kleinen Parteien stellen müssen. Während sich die Großen erhoffen, in die neue Regierung zu kommen, müssen die Kleineren erst die Fünf-Prozent-Hürde meistern, die Sperrklausel für den Einzug ins Parlament. Hier zu scheitern, davor sind auch die größeren Parteien nicht gefeit. Die Linke schaffte die Hürde bei der Landtagswahl 2012 nicht, die FDP überraschend doch, anders als in anderen Bundesländern.

"Der Landtag ist auf jeden Fall unser Ziel", sagt Vitz. "Man hat ja bei den Piraten gesehen, dass das geht." Die Piraten waren als zuvor recht unbekannte Partei 2011 kometenhaft aufgestiegen. Erst kamen sie ins Berliner Abgeordnetenhaus, dann folgten nach und nach weitere Landesparlamente - auch in NRW. Dort waren sie 2010 mit 1,6 Prozent noch an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, zwei Jahre später zogen sie mit 7,8 Prozent in den Landtag ein. Auch die Freien Wähler schafften das in Bayern, wo sie seit 2008 im Parlament vertreten sind.

Vielen anderen Parteien gelingt das nicht. Mal 0,1 Prozent, mal 0,4 Prozent, das reicht nicht für den Landtag. Und so finden sie sich an den Wahlabenden in den Balkendiagrammen der TV-Sender zusammengefasst als "Andere" wieder. Auch die V-Partei³ muss damit rechnen, am Wahlabend in dieser Kategorie aufgelistet zu sein. Was macht Vitz in diesem Fall? "Dann geht es weiter." Er wolle dann zum Beispiel andere Landesverbände unterstützen. "Zu tun gibt es genug", sagt er.

Aber auch wenn es die Kleinen meist nicht in den Landtag schaffen, liegt dahinter ein nicht zu verachtendes Stimmpotenzial. Bei der Landtagswahl in NRW 2010 kamen die kleinen Parteien auf zusammen 6,5 Prozent der Stimmen. Damals gehörten auch die Piraten in diese Kategorie. 2012 lag der Stimmanteil bei 4,4 Prozent plus die 2,5 Prozent der Linken. 17 kleine Parteien plus Einzelbewerber und weitere "Sonstige" sind im offiziellen Endergebnis der Wahlen aufgelistet. Dieses Jahr könnten es noch mehr werden: 31 Parteien und Wählervereinigungen sind laut Landeswahlleiter zur Wahl zugelassen. Im Wahlkreis Mönchengladbach I lag der prozentuale Anteil der Anderen zuletzt höher als im Land insgesamt, im Wahlkreis Mönchengladbach II gab es ähnliche Ergebnisse.

An das Stimmpotenzial ihrer Wählerschaft glaubt auch die V-Partei³. Ihre Vertreter gehen von zehn Millionen Vegetariern und Veganern in Deutschland aus, Tendenz steigend. Und sie sind davon überzeugt, dass sie mit ihren Themen wie der "Agraragenda 2030" ausreichend Wähler mobilisieren können. "Als frische Partei kann man neue Themen setzen", sagt Vitz. Die steht unter anderem für eine Abschaffung der Tierschlachtung, eine faire Mehrwertsteuer - bei unbehandelten Lebensmitteln wie Obst und Getreide soll sie abgeschafft werden -, für Volksbegehren, das Aus für die Jagd als Hobby oder auch für ein Ende der Atomkraft. Vitz hat einige Parteikollegen an seinem Tisch versammelt, wie die stellvertretende Landesvorsitzende oder eine potenzielle Bundestagskandidatin. Immer wieder kommen Mitglieder an den Tisch, vom Auszubildenden bis zum Psychologie-Studenten. Sie sprechen über veganes Essen, über Tierschutz, über Alltägliches, aber vieles dreht sich auch um die Partei und den Wahlkampf. Einiges haben sie noch vor, ähnlich wie die etablierten Parteien, nur in kleinerem Rahmen. Am Wahl-O-Mat beteiligen sie sich, Plakate sollen kommen, ein Wahlwerbespot ebenfalls. Auch Infostände in den Wochen vor der Wahl sind in mehreren Städten in NRW geplant.

Vitz hat dafür schon Ideen, die er seinen Mitstreitern beim Stammtisch vorschlägt. "Ich habe mir überlegt, einen Wahlzettel in Übergröße auszudrucken und auf einem Tapeziertisch zu kleben", erzählt er. Der soll dann hochkant neben dem Infostammtisch stehen - das Kreuz natürlich bei der V-Partei³. "Und dann könnten die Menschen mit so kleinen Pfeilen darauf zielen."

Der Gladbacher kam nur wenige Wochen nach der Gründung zur V-Partei³. Das System der Demokratie sei für ihn "eine Art 1.0", sagt der Informatiker. Er sei dagegen immer auf der Suche nach Updates, nach Verbesserungen. Sogar an die Gründung einer eigenen Partei dachte er, bis er im Internet auf die V-Partei³ stieß, die genau die Themen behandle, die seinen eigenen Vorstellungen entsprechen. "Ich habe es direkt angeklickt, und schon war ich Mitglied 39", sagt er. Warum macht er nicht bei den Grünen mit? Vitz sagt, dass er durchaus Sympathien für sie hege, aber die Partei sei ein bisschen festgefahren - "gerade bei unserem Thema". Gemeint sind die vegane und die vegetarische Ernährungsweise.

Der 64-Jährige lebt selbst seit vier Jahren vegan, vegetarisch seit 45 Jahren. Fleisch essen habe ihm nie behagt, sagt er. Mit dem Auszug von Zuhause ließ er es dann sein, auch seine beiden Kinder haben nie Fleisch gegessen. Mit 19 Jahren machte er sich zudem auf zu einer Weltreise. Asien, Afrika, Lateinamerika - rund zehn Jahre war er unterwegs und zum Beispiel in der Entwicklungshilfe tätig. Dabei reparierte er etwa mit Einheimischen technische Geräte, auch beim Aufbau eines Dorfes war er mal mit dabei. Diese Zeit hat ihn geprägt, man sehe alles globaler, sagt er. Mit dieser Sichtweise fühlt er sich bei der V-Partei³ gut aufgehoben. "Im Grunde packen wir die ganzen menschengemachten Probleme an", sagt er. "Das ist meine Challenge."

interaktiv.rp-online.de/flussfahrtnrw

(das)
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