Mönchengladbach Vom Skywalk zum Moonwalk

Mönchengladbach · Wenn andere eine Grube graben, ist das im Fall Garzweiler ein Erlebnis zwischen Katastrophentourismus und Sensationsgier. Das kryptische Landschaftsbild führt bei Erstbesuchern vor allem zu Verstörung.

Von Hochneukirch aus legt sich der Blick auf ein Szenario, das an eines dieser ewigen Größenwahn-Projekte in James-Bond-Filmen erinnert.

Von Hochneukirch aus legt sich der Blick auf ein Szenario, das an eines dieser ewigen Größenwahn-Projekte in James-Bond-Filmen erinnert.

Foto: Maike Plaggenborg

Der fluffige Name Skywalk für die Besucherplattform Jackerath am Tagebau Garzweiler ist genaugenommen Kappes. Statt eines unverfänglichen Himmels zeigt sie den Abgrund menschlicher Schaffenskraft. Und noch dazu eine nah an der eigenen Vorstellung liegende Mondlandschaft. Oder eher Sandkuchen?

Kommen die Bagger, gehen die Dörfer: Viele Häuser sind dem Tagebau Garzweiler seit Beginn der Arbeiten gewichen.

Kommen die Bagger, gehen die Dörfer: Viele Häuser sind dem Tagebau Garzweiler seit Beginn der Arbeiten gewichen.

Foto: Maike Plaggenborg

Schnell stellt sich Verstörung ein, wenn der Blick über die massigen Facetten der Farben Vanille, Zucker, Lakritz, Karamell und Schokolade wandert. Der Blick lässt sich nur schwer lösen von der Draufsicht auf die Szenerie, die einen fesselt, weil es eben nicht um ein überdimensioniertes Backwerk geht. Und der Körper macht mit. Die Augen werden groß, der Kiefer verliert seine natürliche Spannkraft, die Sprache kommt einem kurzzeitig abhanden. Staunen nennt sich das - in diesem Fall eben nur im schlechtesten Sinne. Gäbe es hier Eis und Bratwurst zu kaufen, würde einem wohl beides aus der Hand fallen. Aber so einladend ist die Atmosphäre weder dort noch in Hochneukirch nicht. Nur kleine, zufällig gefundene und auf schiefe Poller aufgesteckte Schilder sagen einem, wo es langgeht zu einer der beschämendsten Aussichten nahe Gladbach. Garzweiler ist keine Touristenhochburg, nichts, womit sich der hier tätige Veranstalter und Energieversorger RWE eindeutig brüsten kann. Es wird zart gezeigt, was sich ohnehin niemals verbergen ließe.

Dennoch ist die Anziehung massiv. Umhauende Ingenieurskunst trifft auf systematische Vernichtung. Bagger 288, der größte hier, ist fast 100 Meter hoch, schreibt RWE auf einer der Info-Tafeln. Allein sein Schaufelrad kann es höhenmäßig mit einem siebenstöckigen Haus aufnehmen. Er kann pro Tag bis zu 240.000 Tonnen Kohle oder Kubikmeter sogenannten Abraums fördern. Seit 2016 steht dieses Verhältnis aus dem fossilen Energieträger und der Summe aus Löß, Kies und Sand 1 : 4,7. Letzteres dient überwiegend als Füllmaterial für die maschinell erzeugte Leere im Erdreich. Damit wird der Boden zwecks Braunkohleförderung komplett auf links gezogen.

"Das ist doch interessant, das mal zu sehen", sagt ein Besucher am Skywalk. Er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, verrät aber, dass er aus der Gegend kommt. Er kennt den Ausblick gut. Sein Bruder, sein Schwager und sein Sohn arbeiten hier. Die Bindung ist da, der Zwiespalt auch. Irgendwo muss der Strom ja herkommen, meint er. Stimmt leider. Hohe Ansprüche erfordern einen hohen Preis. Der Strom muss fließen, Tag und Nacht. Für die Menschen und die Industrie. Braunkohle hat einen Anteil von 50 Prozent am Stromaufkommen in Deutschland - entspricht 75,8 Milliarden Kilowattstunden, teilt die Tafel mit.

Fazit: ganz schön nachhaltig - auch hier im schlechteren Sinne. Wie viele Jahrzehnte die Natur braucht, um sich von Eingriffen dieser Art zu erholen, steht nicht auf den beschreibenden Schildern. Wie es den umgesiedelten Menschen in ihren neu gebauten Dörfern geht, ist an dieser Stelle ebenfalls nicht ersichtlich, dafür andernorts. "Wo ist meine Heimat?" steht auf einem Stein nahe dem Abbaufeld geschrieben. "Aufhören" pamphletiert ein Aufkleber auf einem Durchfahrtsverbotsschild zum flächigen Loch. Was bleibt, ist der Geruch in der Region wie auch in der Nase. Er legt sich auch Stunden nach dem Besuch auf jeden Atemzug. Die Riechnote ist rauchig, braun und rau. Wie etwas, das nicht in die Luft gehört. Und obendrein bleibt am Ende ein bitterer Geschmack im Hals.

(RP)
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