Mönchengladbach Vom Anplappern gegen die Einsamkeit

Mönchengladbach · Becketts "Glückliche Tage" ist eigentlich absurdes Theater – gleichzeitig aber erschütternd realitätsnah, wie Nicholas Monus Inszenierung zeigt.

 Bis zur Kinnspitze steckt Esther Keil als Winnie tief im Sand. Von ihrem Mann Willie ist in dieser Szene gar nichts mehr zu sehen.

Bis zur Kinnspitze steckt Esther Keil als Winnie tief im Sand. Von ihrem Mann Willie ist in dieser Szene gar nichts mehr zu sehen.

Foto: Matthias Stutte

Wann haben Sie sich das letzte Mal gesagt: "Kopf hoch, es könnte schlimmer sein. Trotz allem habe ich es doch gut"? Nun, Winnie sagt sich das jeden Tag. Bis zur Hüfte steckt sie im Wüstensand fest, aber: "Keine Besserung, keine Verschlimmerung, keine Veränderung, keine Schmerzen, fast keine. Das ist das Wundervolle. Das wird wieder ein glücklicher Tag." Es ist alles nur eine Frage der Haltung für die Protagonistin im Samuel Becketts "Glückliche Tage".

In der Inszenierung von Nicholas Monu, die gerade im Studio des Theaters Mönchengladbach ihre Premiere feierte, hat Esther Keil die Rolle der Winnie übernommen. Unbeweglich in ihrer aussichtslosen Situation gefangen, plappert sie in einem Monolog gegen die Einsamkeit und den damit verbundenen unvermeidlichen Untergang an. Ihr Mann Willie (Michael Grosse), der unerreichbar ist und die meiste Zeit schweigend in einem Erdloch lebt, ist ihr da auch keine Hilfe. Aber: Kopf hoch, macht nix. Immerhin ist ja die theoretische Möglichkeit, dass er ihr zuhören und mit ihr sprechen könnte, auch schon etwas wert.

Samuel Beckett ist für absurdes Theater bekannt. Aber wenn man der Winnie von Esther Keil dabei zusieht, wie sie versucht, ihrem unausgefüllten Tag irgendwie Sinn einzuhauchen, dann stellt man schnell fest, dass Beckett gar nicht so absurd ist. Wo liegt der Unterschied, ob sich ein Paar nun in einer irrealen Situation in der Wüste anschweigt und nebeneinander her lebt oder im heimischen Wohnzimmer vor dem Fernseher? Auch in einer Wohnung würde sich Willie vermutlich hinter der Zeitung verstecken und nur ab und zu mittels krächzender Laute Lebenszeichen von sich geben.

Die Beziehung ist in die Jahre gekommen, die Gewohnheit das bestimmende Element. Und so reihen sich bei Winnie die Hoffnung, dass Willie doch noch Interesse an ihr haben könnte, die Enttäuschung, wenn wieder keine Reaktion kommt, das Ringen um Haltung und der spöttische Unterton, wenn sich Willie umständlich auf allen Vieren aufmacht, um ein letztes Mal zu ihr zu kommen, aneinander wie die Perlen um ihren Hals. Dagegen anzuplappern hilft auch nicht: Winnie sinkt immer tiefer ein, die Fassade bröckelt, von der einst gepflegten Frau sind nur noch das von zerlaufendem Make-up verschmierte Gesicht und das strähnige Haar zu sehen.

Esther Keil hat nur ihr Minenspiel, um das Publikum am Wechselbad der Gefühle teilhaben zu lassen. Vom strahlend aufgesetzten Lächeln rutscht es direkt in die Verzweiflung beim Gedanken an die nur allzu gewisse Zukunft. Dabei schwingt auch eine leise Komik mit, die der Figur die Bitterkeit nimmt. Michael Grosse ist während der gut zwei Stunden Aufführung vor allem zu hören. Erst am Ende setzt er, auf allen Vieren ins Bild kriechend, den finalen Höhepunkt der Einsamkeit, wenn er ein letztes Mal "Winnie" haucht.

(gam)
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