Serie Was macht eigentlich? Der ungehörte Zeuge im Büchsenwurfprozess
Mönchengladbach · Er stand 1971 hinter der Bank Inter Mailands, als die Cola-Dose aufs Spielfeld flog und Boninsegna „niederstreckte“. „Sie hat ihn nur an der Schulter getroffen“, versichert Volker Klüttermann. Der aberkannte 7:1-Sieg ärgert den späteren Chef des Ordnungsdiensts bis heute.
Es ist ein ganzes Leben für die Borussia: Seit 65 Jahren ist Volker Klüttermann Mitglied. Er hat sehr viel für den Verein getan, sich aber nie ins Rampenlicht gedrängt. „Er ist einer der Wenigen, die nie von Borussia gelebt haben, aber immer für sie“, sagen Weggefährten. Der 75-Jährige könnte viele Geschichten erzählen. Er tut dies aber nicht so oft, weil er sich nicht in den Mittelpunkt drängt. So ist diese hier mit interessanten Details auch fast ein halbes Jahrhundert nach dem Geschehen nur relativ wenigen Fans bekannt.
Sie ereignete sich am 20. Oktober 1971. Dem Tag, an dem ein Stück Borussia-Geschichte geschrieben wurde: Es war der von der Uefa annullierte 7:1-Sieg am Bökelberg gegen Inter Mailand im Achtelfinale des Europapokals der Landesmeister. In der 29. Spielminute war beim Stand von 2:1 Roberto Boninsegna von einer aus dem Gladbacher Fanblock geworfenen Cola-Dose getroffen worden. Der Italiener hatte sich bühnenreif fallen lassen und wurde wegen einer angeblichen Kopfverletzung ausgewechselt.
Es war Volker Klüttermanns allererstes Spiel als Ordner. „Mein Platz war direkt hinter der Ersatzbank der Mailänder, ich habe die Szene genau gesehen“, erzählt er. „Die Dose traf Boninsegna nicht am Kopf, sondern an der Schulter. Er wurde auf einer Trage zur Bank gebracht und genau vor meiner Nase abgesetzt. Er wollte aufstehen, wurde jedoch von einem Betreuer zurückgedrückt und dann in den Umkleideraum getragen. Mein Freund Peter Willms wollte helfen, wurde aber abgedrängt.“ Inter legte beim europäischen Fußballverband Uefa Einspruch gegen die Wertung der 1:7-Niederlage ein, gewann das Rückspiel in Mailand 4:2 und holte dann in Berlin beim von der Uefa angeordneten Wiederholungsspiel der ersten Partie ein 0:0. Borussia war raus statt im Viertelfinale. Volker Klütttermann war von der Uefa gar nicht erst als Zeuge gehört worden.
Er machte seinen Weg als Justizbeamter beim Gericht und im NRW-Innenministerium. Und bei Borussia, der zweiten großen Liebe neben der Familie. Seine Frau Erika und Sohn Carsten haben stets akzeptiert, dass es den Ehemann und Vater nicht ohne Borussia gibt. Er ist mit Borussia aufgewachsen: an der Badenstraße in Eicken, nur „ein paar Steinwürfe“ von der „Kull“ entfernt, die später Stadion Am Bökelberg heißen sollte. Sein Vater Hans, Justizangestellter, hatte in den 1920er Jahren in der Ersten Mannschaft Borussias gespielt und war nach der Rückkehr aus dreieinhalbjähriger Kriegsgefangenschaft in Südfrankreich im Vorstand des VfL.
Volkers Leben nach dem Schulunterricht war neben dem Erforschen der Eickener Trümmer-Landschaft Fußball: zunächst quer über die Badenstraße („Da kam höchst selten mal ein Auto“), und dann ab 1954 in der D-Jugend Borussias. „Ein großes Talent war ich nicht. Aber ich hatte immer Spaß am Fußball und der Gemeinschaft“, sagt er. Die fand er auch bei den Wasserfreunden Mönchengladbach: „Als Rückenschwimmer hatte ich recht gute Zeiten, war in der Gladbacher Auswahl beim Städtevergleich mit Rheydt und dem Hauptquartier.“
Doch letztlich lockte der Fußball mehr. Er spielte bei den Zweiten und Dritten Amateuren Borussias und ließ sich von Jugend-Cheftrainer Gerd Schommen als Trainer für die E- und D-Jugend begeistern: „Ich habe immer eine Mannschaft über vier Jahrgänge betreut, bis sie zur C-Jugend wechselte und dann wieder mit der nächsten E-Jugend angefangen.“ Zwei seiner Zöglinge sollten es später in die Bundesliga und zum Nationalspieler schaffen: Jörg Albertz und Karlheinz Pflipsen. Und Volker Klüttermann rückte in den Jugend-Vorstand auf.