Mönchengladbach Viel Lob für die ehrliche Haut
Mönchengladbach · 40 000 Euro fand Reinigungskraft Anna Radke in einer Tasche, die ein Hotelgast im Holiday Inn vergessen hatte. Behalten oder abgeben? Die 37-Jährige zögerte keine Sekunde. Ehrlichkeit zahlt sich eben doch aus: Neben einem Dank der Hotelleitung gibt es auch einen üppigen Finderlohn.
Sie hätte nie und nimmer schlafen können, wenn sie das Geld eingesteckt hätte, sagt Anna Radke. Am Samstag nicht, und auch in den darauffolgenden Nächten wäre es ihr mehr als schwergefallen. Gut, dass sie gar nicht erst in die Bredouille kam, sich mit ihrem Gewissen herumschlagen zu müssen.
Denn als die 37-Jährige am Samstagmittag das Zimmer mit der Nummer 603 im Holiday Inn an der Speicker Straße saubermachte und neben dem Bett eine herrenlose Tasche mit 40 000 Euro fand, lautete ihr erster Gedanke: Die behältst du nicht. Sofort ging die Putzfrau zur Hotelleitung und lieferte das Geld ab, die wiederum gab es der Polizei — und noch am selben Nachmittag konnte es der 36-jährige Deutsch-Türke, der das Geld im Zimmer vergessen hatte, im Polizeipräsidium in Empfang nehmen.
"So viel Ehrlichkeit in der heutigen Zeit — das nötigt mir höchsten Respekt ab", sagte gestern Hoteldirektor Hubert F. Pittner, als er Anna Radke zum Dank einen Blumenstrauß überreichte. Das Geld, das für eine türkische Hochzeit vorgesehen ist, die am Samstag in Hamburg stattfinden soll, hatte der Besitzer, wie die Polizei mitteilte, eigentlich bereits abgeschrieben — und war dementsprechend heilfroh, als er es zurückerhielt.
Die schwarze Tasche hatte der 36-Jährige im Nachtschränkchen neben dem Bett versteckt. Zwei Tage lang hatten er und seine Begleiterin zwei Zimmer in dem Hotel belegt, bis sie am Samstag abreisten. "Wir weisen all unsere Gäste darauf hin, Bargeld und Wertsachen in Safes zu deponieren", sagt Pittner. Trotzdem würden immer wieder Wertgegenstände in Hotelzimmern vergessen. "Als ich noch in einem Kölner Hotel tätig war, vergaß mal jemand 250 000 D-Mark — ebenfalls für eine Hochzeit", erinnert er sich.
Uhren, Ringe, I-Pods, Handys — "regelmäßig werden solche Sachen in Hotelzimmern liegenlassen", sagt auch Andrea Wagner, Mönchengladbacher Niederlassungsleiterin der Düsseldorfer Reinigungsfirma Klüh. Rund 1000 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in der Vitusstadt, 20 davon sind für das Holiday Inn zuständig — Anna Radke ist eine von ihnen. "Aber ich kann mich wirklich nicht erinnern, dass einer unserer Mitarbeiter schon einmal eine derart große Summe gefunden hätte", sagt Andrea Wagner.
Es ist auch die größte Bargeldsumme, die Anna Radke jemals in Händen gehalten hat. Seit Mai dieses Jahres lebt die gebürtige Polin mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in Mönchengladbach und ist bei Klüh als Reinigungskraft angestellt. Zuvor hatte die gelernte Schneiderin in ihrem eigentlichen Beruf in einer Fabrik in Gubin kurz hinter der brandenburgisch-polnischen Grenze gearbeitet.
Der große Bahnhof, der gestern, an ihrem freien Tag, für sie bereitet wurde, war der 37-Jährigen sichtlich etwas peinlich. "Das ist eine große Überraschung für mich", sagte sie. "Dabei ist es doch selbstverständlich, dass man eine so große Geldsumme nicht einfach einsteckt."
Immerhin: Zwar ist Anna Radke nicht zur Hochzeit in Hamburg eingeladen worden, aber einen "üppigen" Finderlohn erhält sie vom Besitzer zum Dank für ihre Ehrlichkeit, teilte die Polizei mit. Er dürfte damit deutlich über dem ihr rechtlich zustehenden Betrag (siehe Info) liegen. Wie hoch der Betrag genau ausfällt, wollte sie am Montag nicht verraten, nur so viel: Es reiche aus, um ihren Kindern, einer 15-jährigen Tochter und einem 16-jährigen Sohn, das ein oder andere frühzeitige Weihnachtsgeschenk zu bescheren.
Und für sich selbst? Kauft sie sich auch selbst noch eine Kleinigkeit? "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht", sagte die zweifache Mutter, die heute wieder arbeiten geht. Dafür hat sie nun allerdings auch genug Zeit — weil sie zwei Tage zuvor in einer anderen Situation eben gar nicht lange nachdenken musste, um eine Entscheidung zu fällen.
