Mönchengladbach Vereint nach einem Jahr voller Sorgen

Mönchengladbach · Saleh Dib (33) konnte vor zwei Tagen seine Frau Lina (30) und seinen Sohn Ahmad vom Flughafen abholen. Das Ehepaar hatte sich seit Salehs Flucht aus Syrien vor einem Jahr nicht mehr gesehen. Nun beginnt für sie ein neues Leben.

Saleh Dib hat alles hübsch gemacht. Er hat geputzt, neue Möbel besorgt, Spielzeug gekauft. Am Donnerstag hat ihn ein Freund morgens abgeholt, um ihn nach Düsseldorf zu fahren. "Ich konnte nicht mehr atmen", sagt Saleh Dib über die letzten quälenden Minuten des Wartens am Flughafen. Als sich die Glastür endlich öffnete und Lina auf ihn zukam, habe er nur noch weinen können.

Lina al Hafiz ist Salehs Frau. Zusammen haben sie auch einen kleinen Sohn: Ahmad, genannt Medo, 19 Monate alt. Dass Saleh sein Papa ist, muss Ahmad aber erst wieder begreifen. Denn seit mehr als einem Jahr haben sich Lina, Ahmad und Saleh nicht mehr gesehen. Damals fasste Saleh Dib gemeinsam mit seinem Bruder den Entschluss, aus seinem Heimatland Syrien zu fliehen. Jetzt hat er eine Wohnung in Wickrath, eine Aufenthaltsgenehmigung und bald, so sagt er, hoffentlich auch einen Job.

Zwischen dem Entschluss, nach Deutschland zu gehen und dem Tag, an dem er seine Frau endlich am Flughafen abholen darf, liegen drei Monate Flucht, neun Monate Aufenthalt in einem Flüchtlingslager in Bayern und ein Monat in Gladbach. "Wir sind von der Türkei aus mit einem kleinen Boot nach Griechenland gekommen. Ich habe Tote gesehen", sagt Dib. Von Griechenland aus laufen die Brüder zu Fuß durch Mazedonien nach Serbien. "Wir haben vierzehn Tage nichts gegessen. Und das Schlimmste war: Ich konnte mich nicht bei Lina melden", erzählt Dib. Von Serbien geht es weiter nach Ungarn und Österreich bis nach Deutschland.

In Bayern fängt Saleh sofort an, Deutsch zu lernen. "Viele haben Englisch mit mir gesprochen. Aber ich habe gesagt, sie sollen immer Deutsch mit mir sprechen", sagt er. Der 33-Jährige ist ehrgeizig, in Syrien war er Chef von 200 Mitarbeitern bei einem Mobilfunkanbieter. Lina hat als Journalistin bei einer Nachrichtenagentur gearbeitet. Für sie kann es mit dem Start in ein neues Leben gar nicht schnell genug gehen. "Sie kam hier an und hat gesagt, sie müsse jetzt sofort Deutsch lernen", sagt Saleh Dib lachend. In den ersten Tagen in Gladbach will die frisch vereinte Familie nun aber erstmal nur eines: glücklich sein. Und dann gibt es eine Menge zu organisieren: Behördengänge, ein Bankkonto eröffnen, eine Krankenkassenkarte besorgen und: warme Klamotten kaufen. "Es ist so verdammt kalt hier", sagt Lina. Dann fügt sie schnell hinzu, als habe sie die Deutschen nicht beleidigen wollen: "Aber auch wunderschön." Heute wollen die Eltern einen Ausflug machen, mit Picknick. Und einen Spielplatz für Ahmad finden.

Saleh sagt, er habe erst gar nicht verstanden, warum die Deutschen so freundlich zu ihm sind. "Man gibt nur, wenn man auch etwas dafür bekommt. So kannte ich es aus Syrien. Aber hier waren viele Helfer, die haben einfach nur gegeben." Doch Saleh Dib ist keiner, der sich darauf ausruhen will. Er holt einen Zeitungsausschnitt. "Rüdinghausenern aufs Dach gestiegen", lautet die Überschrift. Darunter ein Foto von Saleh Dib und seinem Bruder beim Dachdecken. Sie hatten sich bereit erklärt, bei der Sanierung eines Kirchendachs mit anzupacken.

Jetzt will Saleh wieder in die Zeitung. Warum? Er will sich bedanken, dass er hier mit seiner Familie ein neues Leben beginnen kann. "Deutschland hat so viel für mich getan", sagt er immer und immer wieder. Syrischen Freunden, die in andere europäische Länder geflohen sind, sage er deshalb immer: "Deutschland ist das beste Land".

Es klingelt. Ein türkischer Freund kommt vorbei und bringt der Familie Fleisch in einer Plastiktüte vorbei. "Es ist auch Leber dabei, ich hoffe, ihr mögt das", sagt der Besucher auf Deutsch. Die Muslime feiern in diesen Tagen das Opferfest. Traditionell wird dann ein Schaf geschlachtet.

Saleh Dib würde gerne auch seine Eltern und seine restlichen Geschwister nach Deutschland holen. Doch das ist nicht so einfach. "Ich versuche, sie zu überreden, doch wenigstens in die Türkei zu gehen", sagt er. Vor kurzem sei eine Bombe auf die Universität gefallen, an der einer seiner Brüder studiert. Zum Glück sei er an dem Tag nicht zur Vorlesung gegangen. Auch Lina hat oft einfach nur Glück gehabt. "Der Krieg macht alles kaputt. Nicht nur Häuser und Straßen. Auch Familien", sagt Saleh.

So glücklich die Situation im Wohnzimmer bei den Dibs auch gerade wirkt: Saleh Dib hat oft mit den schrecklichen Erinnerungen an seine Flucht zu kämpfen. "Wenn ich daran denke, bekomme ich schlimme Kopfschmerzen", sagt er und fasst sich an die Stirn. Wenn er alleine sei, sei es besonders schlimm. Auch deshalb ist er unendlich froh, nun Lina und Ahmad bei sich zu haben. "Jetzt sind sie endlich da. Jetzt kann ich anfangen zu vergessen", sagt er.

(ls)
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