Mönchengladbach Suppe für Gäste ohne Zuhause

Mönchengladbach · Seit zweieinhalb Jahren kocht eine mittlerweile große Gruppe Gladbacher einmal pro Woche Suppe für Obdachlose. Die "Suppentanten" stehen am Platz der Republik und in Rheydt. Wie aus einer Idee eine gut organisierte Privathilfe wurde.

Die samstägliche Suppenausgabe an Obdachlose am Platz der Republik.

Foto: Detlef Ilgner

Kasimir ist schmutzig. Seine langes, graues Haar ist zottelig, vom Gesicht erkennt man hinter dem grauen Bart nicht viel. Außer dass die 20 Jahre auf der Straße Furchen in das Gesicht getrieben haben, er blickt aus trüben Augen. Er könnte 70 sein, aber vielleicht auch erst Mitte 50. Und als er seinen Einkaufswagen mit seinem ganzen Hab und Gut über das Pflaster hinter dem Hauptbahnhof schiebt, rattern die Räder, klirren Flaschen. Kasimir ist Obdachloser, und er hat Hunger.

Heike Zeiatz und Wolfgang Felder verteilen die Suppe an Obdachlose.

Foto: Ilgner Detlef

Als Iris van Montfort-Eickhoff ihn erblickt, huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. "Schön, dich wieder zu sehen", sagt sie, und es klingt so, als begrüße sie einen alten Freund. Und irgendwie ist er das auch fast geworden. Weil Iris van Montfort-Eickhoff etwas zu Essen hat und vor zweieinhalb Jahren beschlossen hat, es mit Leuten wie Kasimir zu teilen. Die Suppe in Kasimirs Plastikschale dampft, er nimmt sich Wurst, reichlich Senf obendrauf und Brötchen dazu und beginnt zu schlemmen, als müsse er Heißhunger aus dem Leib treiben. Ein wohliges "Mmmmhhhh...." entfährt ihm. Und Kasimirs trübe Augen leuchten auf. "Es gibt nichts Schöneres als diesen Moment", sagt van Montfort-Eickhoff. Ein ganz eigenes Gefühl der Dankbarkeit.

Iris van Montfort-Eickhoff ist Suppentante. So nennt sich eine inzwischen stattliche Gruppe von engagierten Gladbachern, die seit zweieinhalb Jahren im Verborgenen einmal in der Woche für Obdachlose in der Stadt Suppe kocht und verteilt. Jeden Samstag stehen sie mit Ausnahme der Sommer-Monate am Platz der Republik und neuerdings auch in Rheydt. Mit einem selbstgebauten Suppenwagen unter blauem Zeltdach geben sie zwischen 30 und 40 Liter Suppe an Wohnungslose aus. Dazu Obst, Süßigkeiten, Kaffee, selbst gebackenen Kuchen. Iris van Montfort-Eickhoff hatte damals die Idee, und sie hätte nie gedacht, was sich dadurch alles ändern würde.

Es ist im Frühjahr 2014, als jemand im sozialen Netzwerk Facebook um eine Buchspende für einen Obdachlosen bittet, der gerne liest, aber sein Buch durch hat. Er wird kurz darauf überhäuft mit Büchern. Anschließend beschwert sich ein anderer Nutzer darüber, dass einer überhäuft wird. Und die anderen vergessen. Da veröffentlicht Iris van Montfort-Eickhoff ihre langgehegte Idee: "Was haltet ihr davon, wenn wir mal für sie kochen?"

Schnell findet sich eine Gruppe Leute, die mitmachen wollen. Sie besorgen sich die Genehmigungen bei der Stadt. Beim Ordnungsamt. Bei der Lebensmittelüberwachung. Die Hygiene-Vorschriften sind streng. "Aber je mehr Steine man mir in den Weg legt, desto energischer werde ich", sagt sie. Nach 14 Tagen stehen sie zum ersten Mal draußen und verteilen Suppe. Eine Mitarbeiterin der Verwaltung gibt ihnen beste Wünsche mit auf den Weg: "Toll, dass es euch gibt. Schade, dass es euch geben muss."

Es ist Freitagmorgen Anfang Oktober, und Iris van Montfort-Eickhoff fährt ihre übliche Spendenrunde. Zum Supermarkt. Zu Discountern. Zum Bäcker, zum Metzger. Sie alle spenden gute Lebensmittel, die niemand gekauft hat. "Alles, was ich nicht selbst essen will, biete ich auch niemand anderem an", sagt Suppentante Kerstin Wegmann, als sie in der Küche von Iris van Montfort-Eickhoff Brokkoli klein rupft. Zusammen mit Ralf Gaudian und Birgitt Totten haben sie die gesammelten Spenden gesichtet, sich für ein Rezept entschieden und kochen los. 180 bis 200 Portionen Suppe müssen es schon sein. Denn die Obdachlosen sind treue Stammgäste.

Anfangs, im Jahr 2014, kommt das Angebot gar nicht so gut an. Man ist skeptisch. Die Suppentanten merken, dass sie sich das Vertrauen der Obdachlosen erst erarbeiten müssen. Und sie selbst sind auch sehr nervös. Was mögen das für Menschen sein? Alkoholkrank? Drogenabhängig? Aggressiv? "Ich war nervös wie bei einem Vorstellungsgespräch", sagt Helferin Birgit Totten. Ein kalter Wintertag im Januar 2015 bringt dann den Durchbruch. Selbstverständlich kochen sie wieder die Suppe, kommen zum Platz der Republik, und die Obdachlosen sind fassungslos: "Sie haben uns gefragt: Ihr kommt auch bei dem Wetter? Aber sie haben ja auch bei dem Wetter Hunger", erinnert sich Iris van Montfort-Eickhoff. In der Szene spricht sich das wie ein Lauffeuer herum. Die meinen es ernst.

Die Suppentanten lernen, dass sie es eben nicht nur mit Alkoholkranken, Drogenabhängigen zu tun haben. Sondern vor allem mit höflichen Menschen, auch kluge Leute dabei, die am Suppenstand zurückhaltend in der Schlange stehen und warten, bis sie dran sind. Die Späße machen. Es geht beinahe familiär zu. "Die haben mir die Scheu genommen", sagt Iris van Montfort-Eickhoff. Wenn sie heute einen Bekannten wie Kasimir in einem Café trifft, umarmt sie ihn, während andere Gäste angewidert wegschauen. Während ein Supermarkt am Platz der Republik den Suppentanten kostenlos Lagerraum für die schwere Ausrüstung zur Verfügung stellt, hat man sie woanders schon vertrieben mit den Worten: "Sowas füttert man doch nicht durch." Solche Leute, sagen die Suppentanten, haben die Dankbarkeit der Obdachlosen einfach noch nicht erlebt. "Ich sehe die Welt jetzt mit ganz anderen Augen", sagt Iris van Montfort-Eickhoff. Und Heike Zeiatz, die die Suppe ausschenkt, erklärt: "Ich mache das, weil es mir guttut."

Ben ist Gladbacher, Mitte 30, wesentlich gepflegter als Kasimir, er ist auch ein Gast der Suppentanten. "Da ist so viel Liebe drin, so viel Herz", sagt er nach seinem dritten Teller Suppe. Er nimmt noch Kaffee und einen Muffin mit und schleicht zufrieden davon. Auch Kasimir ist fertig. Er stopft noch sieben Cent in eine Spardose der Suppentanten. Seine gesamten Ersparnisse gibt er ab. Für diese Suppe.

(RP)