Mönchengladbach Stummfilm und Orgelmusik: Sinfonie der Passion

Mönchengladbach · Der schwäbische Organist Gregor Simon begleitete den Stummfilm "Der Galiläer" an der Orgel in Rheindahlen.

Wenn Jesus von Nazareth, der Galiläer, in dem gleichnamigen expressionistischen Stummfilm von 1921 sein Kreuz gen Golgatha schleppt, dann wimmelt es auf der sepiagetönten Leinwand von Menschen rund um den Schmerzensmann mit seiner monumentalen Dornenkrone, dem von klassischem Faltenwurf geprägten Gewand und den obligatorischen Jesuslatschen. Große, sein Leiden überhöhende Augen macht der Hauptdarsteller Adolf Faßnacht in dem Film von Dimitri Buchowetzki, der eine gute Dreiviertelstunde lang die Passionsgeschichte vom Einzug in Jerusalem bis zum "Es ist vollbracht" in einer Weise erzählt, die den heutigen Zuschauer zugleich amüsiert lächeln, aber auch dann und wann ergriffen schaudern lässt.

Denn einerseits zeigt der nach der Oktoberrevolution nach Berlin geflohene Russe schönsten Passions-Kitsch à la Oberammergau, andererseits komponiert er Bilder von hoher Dramatik. Bei der Vorführung des restaurierten Film-Schatzes im wieder mal gut gefüllten Kirchenschiff der Rheindahlener Helena-Kirche steht jedoch - unsichtbar - der Organist Gregor Simon in einem weiteren Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, indem er die Musik zu den Bildern improvisiert.

In dieser Szene wuseln seine Hände und Füße auf den Tastaturen emsig und tumultös durcheinander, erzeugen einen akustischen Kreuzweg-Sog von tonal-angelehnter Harmonik, aus dem sich wie ein Cantus firmus der Choral "O Haupt voll Blut und Wunden" erhebt. Schauen und Hören verschmelzen in Ergriffenheit.

Simon feilt am Zusammenhang, wenn er die immer wieder von Zwischentiteln unterbrochenen, schroff geschnittenen Filmszenen mit Klängen unterlegt, die bei aller Differenzierung aus demselben Geist zu entspringen scheinen. Große Effekte sind Simons Ding nicht, wohl aber der gezielte Kommentar. So charakterisiert er die skurril kostümierten Hohepriester mit knatschendem "Ätschibätsch"-Gequake, verlegt die Wahnsinnsszene des Judas in den nervtötenden Diskant. Regelmäßig hebt er Melodiefetzen bekannter Kirchenlieder aus dem Meer der Klänge heraus, die auf den Passions-Ritus verweisen. Und hat hörbar Freude an den üppigen Massenszenen auf der Leinwand. Fünf Akte währt Buchowetzkis "Mysterium", das dramatisch mit Sturm und Gewitter im Gebirge endet. Golgatha mit drei hohen Kreuzen im Gegenlicht. Maria, Magdalena und Johannes schmachtend darunter und von der Orgel großes Drama, aus dem sich ein strahlendes Dur schält, das auch nach dem Erscheinen eines überirdisch verklärten Jesus das Rheindahlener Kirchenschiff durchflutet.

(ark)
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