Vahid Sarlak – der (un)politische Kämpfer aus Mönchengladbach Wie sich ein Judoka gegen den Antisemitismus im Iran stellt

Mönchengladbach · Vahid Sarlak sagt von sich selbst, er sei kein politischer Mann. Dennoch wurde der Judoka zu einem Politikum im Iran: seinem Herkunftsland, das er wohl nie wieder betreten kann. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich gegen die antisemitische Haltung seiner Heimat wehrt und beim 1. JC Mönchengladbach eine zweite Familie gefunden hat.

Vahid Sarlak (M.) hat beim 1. JC Mönchengladbach eine zweite Familie gefunden. Seit knapp zwölf Jahren ist er im Verein – erst als Kämpfer nun als Trainer.

Vahid Sarlak (M.) hat beim 1. JC Mönchengladbach eine zweite Familie gefunden. Seit knapp zwölf Jahren ist er im Verein – erst als Kämpfer nun als Trainer.

Foto: Tom Ostermann

Im Leben von Vahid Sarlak gab es drei einschneidende Erlebnisse, die ihn nachhaltig geprägt haben und seinen weiteren Weg bestimmen sollten. Alle drei Erlebnisse haben mit Judo und seinem Heimatland – der Islamischen Republik Iran – zu tun. Es geht um die Jahre 2005, 2009 und 2010. Bis heute wirken die Ereignisse aus diesen Jahren nach und sorgen dafür, dass Sarlak seine Familie im Iran seit 13 Jahren nicht mehr gesehen hat und er als Geflüchteter in Deutschland Asyl beantragen musste. Mittlerweile ist der 41-Jährige deutscher Staatsbürger und sagt: „Ich würde alles genau so erneut machen – auch wenn es kein einfacher Weg für mich war.“

Im Jahr 2005, da reist Vahid Sarlak als einer der besten Judoka seines Landes zur Weltmeisterschaft nach Kairo. Zwei Jahre hat sich der Iraner intensiv auf dieses Turnier vorbereitet, nimmt im Vorfeld insgesamt acht Kilogramm ab und fühlt sich so fit wie nie zuvor. Nach einem guten Start in die Weltmeisterschaft ist die Goldmedaille in der Gewichtsklasse bis 60 Kilogramm mehr als nur ein Traum – sie ist im Rahmen des Möglichen.

 Der Iraner Vahid Sarlek zu seiner aktiven Zeit auf der Judomatte.

Der Iraner Vahid Sarlek zu seiner aktiven Zeit auf der Judomatte.

Foto: Christian Schießl

Vor dem Duell mit dem Aserbaidschaner Nijat Shikhalizada wird Sarlak dann allerdings von seinen Trainern und dem Verband dazu genötigt, den Kampf absichtlich zu verlieren, weil er in der darauffolgenden Runde auf Gal Yekutiel treffen würde– einen Judoka aus Israel. „Iraner dürfen nicht gegen Israelis antreten, die Regierung erlaubt das nicht“, erzählt Sarlak heute. „Also wurde ich damals unter Druck gesetzt: Meine Familie und ich würden große Probleme bekommen, wenn ich trotzdem kämpfe und nicht absichtlich verliere, haben sie mir gesagt.“

Noch auf der Matte bricht der Iraner während des Kampfes in Tränen aus, erst später versteht sein Gegner, der den Kampf natürlich problemlos für sich entscheidet, was der Hintergrund dieses Auftrittes war. „Er hat am Ende Bronze geholt und mir vor ein paar Jahren mal gesagt: Vahid, ich habe deine Medaille bei mir zu Hause. Eigentlich hättest du sie gewinnen müssen.“

Zunächst macht Vahid Sarlak weiter, doch das Unverständnis und die Wut über dieses ungeschriebene Gesetz, das die iranische Regierung und die Sportverbände ihren Athleten auferlegen, bleiben fest in ihm verankert. „Ich habe mit Politik nichts zu tun. Ich bin Sportler und mir ist es egal, gegen wen ich auf der Matte antrete. Wir sind alles Menschen. Ich möchte gegen jeden antreten dürfen und ihn sportlich besiegen können.“ Boykotte von arabischen Sportlern gegen israelische Gegner gab es in der Vergangenheit immer wieder – aus eigenen Überzeugungen oder weil die Sportler, wie Vahid Sarlak damals bei der WM in Kairo, dazu genötigt wurden.

„In letzter Konsequenz ist es immer ein antisemitischer Hintergrund, der hinter solchen Boykotten steht“, erklärte Publizist Alex Feuerherdt („Die Israel-Boykottbewegung“) 2021 im Deutschlandfunk. Selbst Sarlak hatte bereits 1998 bei den World Youth Games in Moskau mit der antisemitischen Haltung seines Heimatlandes erste Erfahrungen gemacht, als er als 17-Jähriger nicht kämpfen durfte, weil er gegen eine Judoka aus Israel hätte antreten müssen.

Nach einem ähnlichen Vorfall 2019, als der Iraner Saeid Mollaei bei der Judo-WM nicht gegen einen Israeli kämpfen durfte, sich der Weisung allerdings widersetzte und deshalb nach Deutschland flüchtete, sperrte der Internationale Judo-Verband IJF den iranischen Verband vier Jahre für alle internationale Wettkämpfe. Die Sperre gilt noch bis 2023.

Zehn Jahre vor diesem Vorfall – schon 2009 – geht auch Vahid Sarlak diesen Schritt. Nach der Weltmeisterschaft in Rotterdam, bei der er den fünften Platz belegt, kehrt er nicht in den Iran zurück. Er bleibt in den Niederlanden und beginnt dort bei einem Bundesligisten zu kämpfen. Parallel erkundigt er sich im Internet, welche guten Trainingsmöglichkeiten für Judoka in der näheren Umgebung zu finden sind. Die Suchmaschine spuckt dem damals 28-Jährigen den „1. Judo-Club 1958 Mönchengladbach e.V.“ als Ergebnis aus.

Vahid Sarlak vom 1. Judo-Club Mönchengladbach.

Vahid Sarlak vom 1. Judo-Club Mönchengladbach.

Foto: Hoeveler

„So bin ich nach Mönchengladbach gekommen und habe dort jede Woche trainiert. Damals war Stefan Küppers noch der Trainer, er hat mich wie einen Bruder aufgenommen und mir geholfen“, sagt Sarlak. Der Judoka kämpft für den Gladbacher Verein in der 1. und 2. Bundesliga, wird 2017 dort auch Trainer. „Ich liebe Mönchengladbach mit ganzem Herzen, der Verein ist wie eine Familie für mich.“

Und eine Familie wird für Vahid Sarlak in seinem Lebensweg umso wichtiger, wenn man noch einmal einen Schritt zurückgeht und auf das Jahr 2010 blickt: das dritte einschneidende Erlebnis im Leben des Iraners. Damals nimmt Sarlak, ein Jahr, nachdem er den Iran aufgrund der politischen Einmischung der Regierung in den Sport verlassen hatte, beim European Cup in Hamburg teil – und tritt dort gegen einen Israeli an. „Das wurde sofort zu einem großen politischen Problem. Mein Anwalt hat damals gesagt, dass ich nicht mehr zurück in den Iran könne und in Deutschland Schutz bekomme.“

Sarlak beantragt Asyl, wird später auch deutscher Staatsbürger. Den iranischen Pass besitzt er zwar noch, gültig ist er allerdings nicht mehr. Seine Familie und Freunde in der iranischen Hauptstadt Teheran hat der heute 41-Jährige seitdem nicht mehr sehen können. „Seit 13 Jahren ist es für mich nicht mehr möglich, in meine Heimat zu reisen. Und seitdem habe ich jeden Tag Probleme mit der Politik. Ich bin sicher, solange die aktuelle Regierung an der Macht ist, wird sich daran nichts ändern. Das ist nicht einfach für mich, aber es war der richtige Weg: Menschlichkeit ist wichtiger als alles andere“, so Sarlak.

Vahid Sarlak als Coach in der 2. Judo-Bundesliga der Saison 2022

Vahid Sarlak als Coach in der 2. Judo-Bundesliga der Saison 2022

Foto: Tom Ostermann

Mit dieser Art ist er seit Jahren ein wichtiger Bestandteil des 1. JC Mönchengladbach – und so ist es auch der Verein für ihn. „Mönchengladbach ist mein Zuhause, auch wenn ich mittlerweile in Moers wohne, komme ich quasi jeden Tag hier hin“. Als Trainer des Herrenteams geht er mit seinen Kämpfern aktuell in der 2. Bundesliga an den Start. Der Auftakt in die Saison, die sich momentan in der Sommerpause befindet, ist zwar gelungen, ob es für den Aufstieg in die höchste Judo-Liga Deutschlands reicht, bleibt abzuwarten. Sarlak würde es sich wünschen. „Ich gebe immer mein Bestes, auch als Trainer. Mein Ziel ist es, die jungen Leute hier nach vorne zu bringen, sie zu motivieren und besser zu machen.“

Der engagierte Judo-Trainer ist aber nicht nur für das Team in Mönchengladbach zuständig, auch international coacht Vahid Sarlak einige Athleten. 2017 war er zunächst für einige Jahre für die Nationalmannschaft von Tadschikistan verantwortlich, hat mit seinen Schützlingen bei Asia-Meisterschaften und den Olympischen Spielen Erfolge erzielt.

Die Trainerrolle in Tadschikistan hat Vahid Sarlak mittlerweile an den Nagel gehangen, um sich einer anderen Aufgabe zu widmen. Der 41-Jährige bereitet nun das IJF-Flüchtlingsteam – bestehend aus geflüchteten Judoka aus der ganzen Welt – auf die Olympischen Spiele 2024 in Paris vor. „Unser Ziel ist es, bis zu den Spielen zu einem Team heranzuwachsen. Dafür versuchen wir, so oft es möglich ist, gemeinsam zu trainieren. Oft in Mönchengladbach oder auch bei Trainingscamps in Berlin oder den Niederlanden“. Mit seiner sportlichen Erfahrung, aber auch mit seiner persönlichen Geschichte, kann Vahid Sarlak den Judokas des Flüchtlingsteams bei ihrer Entwicklung helfen, wie er erzählt. „Ich weiß, was diese Menschen durchgemacht haben, weil ich es ja selbst erlebt habe. Am Anfang fühlt man sich als flüchtender Mensch einsam und alleine. Ich sage denen immer: Wir sind nicht mehr einsam, und auch nicht alleine. Klar, wir sind nicht mehr zu Hause, aber das kann jetzt überall auf der Welt sein.“

Diese Mentalität soll dem Team helfen, sich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten. „Bis dahin haben wir noch zwei Jahre Zeit, um ein Team zu formen. Es wird für unsere Kämpfer vielleicht nicht für Medaillen reichen, aber sie können beweisen, dass sie kämpfen können“, so Sarlak, der sich freut, dass er andere Sportler auf diese Weise unterstützen kann. „Diese Aufgabe ist eine Ehre für mich. Wenn ich Menschen helfen kann, wieder glücklich zu werden, dann macht mich das selber glücklich.“

Drei prägende Erlebnisse waren es, die Vahid Sarlak an diesen Punkt in seinem Leben geführt haben. Der Judoka war stark und konnte die Rückschläge wegstecken, teilweise sogar für sich nutzen. Doch der Kampf – auch gegen das Unrecht, das sein Heimatland anderen Sportlern und dem Land Israel antut – wird für ihn weitergehen.

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