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„Über die Arbeit an der Basis wird nicht gesprochen“ Hat der Amateurfußball von der Frauen-EM profitiert?

Analyse | Fußball · Die EM-Auftritte der deutschen Mannschaft führten in diesem Sommer zu viel Aufsehen für den Frauenfußball. Zwei Monate sind seitdem vergangen. Ist von der gestiegenen Aufmerksamkeit auch etwas im Amateurfußball der Region angekommen – beim Nachwuchs, bei der Förderung und bei der Akzeptanz? Eine Bestandsaufnahme.

Die Nationalmannschaft jubelt bei der EM.

Die Nationalmannschaft jubelt bei der EM.

Foto: dpa/Sebastian Gollnow

Clara Elsholz ist es im Büro aufgefallen. „Gestern auch das Spiel geschaut?“ Diese Frage wanderte häufig nach Auftritten der deutschen Mannschaft durch den Kollegenkreis. Die Erfolge bei der Europameisterschaft gegen Spanien, Österreich oder Frankreich, die Namen Jule Brand, Giulia Gwinn oder Alexandra Popp, für einige Wochen taugten sie als Gesprächsthema zwischen Kaffeemaschine und Schreibtisch.

Elsholz ist seit vielen Jahren als Fußballerin in der Region aktiv, war Torhüterin in Uevekoven und Odenkirchen und spielt aktuell für den FV Mönchengladbach. Dass ein Frauenturnier außerhalb ihres Fußball-Umfelds so großes Interesse weckt, hat sie zuvor nicht erlebt. „Es wurde sehr viel darüber gesprochen. Das habe ich nicht erwartet“, sagt Elsholz.

Über vier Sommerwochen stand die EM im Schaufenster der Öffentlichkeit; dekoriert mit vollen Stadien und guter Stimmung, dazu mit Spielen zur besten Sendezeit. Vor allem in Deutschland traf das einen Nerv. Die Nation stieg mit ein auf dem Weg der deutschen Mannschaft bis ins Finale: Die 1:2-Endspielniederlage gegen England sahen 17,9 Millionen Zuschauer im TV; Rekordquote für ein Spiel der deutschen Frauenmannschaft. Zwei Monate sind seitdem vergangen. Ist etwas von der Aufmerksamkeit hängen geblieben – auch im Amateurfußball?

„Tochter, sieben Jahre mit Interesse am Fußball“ – E-Mails mit solchen Betreffzeilen bekam Roland Schendzielorz zuletzt häufiger. Es seien vor allem jüngere Mädchen, zwischen sieben und elf Jahren, die sich nun melden, sagt der Spielbetriebsleiter des FV Mönchengladbach. Sechs Nachwuchsmannschaften gibt es aktuell im Verein.

Einen Zusammenhang mit der EM kann er allerdings nur vermuten. Er führt andere Punkte für den Zulauf an: Den Campus-Park als moderne, zentrale Anlage in der Stadt, dass der FV ein reiner Frauenverein ist, und die Erfolge der ersten Mannschaft. „Dadurch haben wir eine gute Außenwirkung. Wir brauchen daher nicht viel Werbung machen.“ Die Mannschaft des FV, erst 2020 nach dem Aus der Frauenabteilung beim 1. FC Mönchengladbach gegründet, spielt in der drittklassigen Regionalliga und ist einer der spielhöchsten Vereine der Region. Das zieht offenbar beim Nachwuchs.

Auch die anderen Vereine mit Juniorinnenteams verzeichnen Zuwachs, führen das aber ebenfalls nicht zwingend auf die EM zurück. „Wir haben die ganze Zeit schon guten Zulauf“, sagt Heike Scheibe, Frauenabteilungsleiterin bei den Sportfreunden Neuwerk. Ihr Verein unterhält inzwischen Jugendmannschaften von der U9 bis zur U17, das gilt ebenso für den TuS Liedberg, der SC Hardt hat neben einer B- neuerdings auch eine C-Jugend. Christian Wolff, Sportlicher Leiter für den Frauenbereich bei TuS Liedberg, fügt allerdings an: „Es gibt nicht so viele Vereine, die Mädchenfußball anbieten, die Konkurrenz ist nicht groß. Daher haben wir ein großes Einzugsgebiet.“ Die Vereine profitieren beim Zulauf also auch vom geringen Angebot, was wiederum die Kapazitäten begrenzt. „Wir sind nahe an der Grenze, dass wir keine Spielerinnen mehr aufnehmen können“, sagt Schendzielorz vom FV.

Die Tendenz war zuletzt rückläufig: Im Kreis Mönchengladbach-Viersen führte der Fußballverband Niederrhein (FVN) für die Spielzeit 2021/22 insgesamt 15 Frauen- und 17 Juniorinnenteams – 2017/18 waren noch 28 Nachwuchsmannschaften gemeldet. Es fehlt also sowohl am Nachwuchs als auch an Vereinsangeboten. Das zeigt sich einerseits daran, dass selbst in unterklassigen Ligen kreisübergreifend gespielt wird, um überhaupt einen Spielbetrieb zu organisieren – das bedeutet in der Kreisklasse Auswärtsfahrten nach Neuss oder Krefeld.

Andererseits kommt für viele Seniorinnenteams nur wenig nach. In der Spitze ist der Kreis mit den Regionalligisten Borussia Mönchengladbach und FV Mönchengladbach sowie den Bezirksligisten Hardt, Kaldenkirchen, Süchteln, Brüggen und Odenkirchen ordentlich aufgestellt. Hinzu kommt Mittelrheinligist Uevekoven. Dahinter fehlt die Breite.

 FV Mönchengladbach im Niederrheinpokal gegen Alemannia Pfalzdorf.

FV Mönchengladbach im Niederrheinpokal gegen Alemannia Pfalzdorf.

Foto: Evers, Gottfried (eve)

Zur aktuellen Saison meldeten Fortuna Mönchengladbach, Concordia Viersen sowie der FSC Mönchengladbach, einst Zweitligist und Pionierverein für den Frauenfußball in der Stadt, keine Frauenmannschaft mehr. Der TuS Liedberg zog sein Team bereits im Vorjahr zurück. Deren erste Mannschaft war aus der Not geboren: Für eine U19 gab es zu wenig A-Jugendliche, mit drei erfahrenen Spielerinnen reichte es dann zu einer Seniorenmannschaft. Der Schritt kam zu früh. Es folgten Verletzungen, etliche Niederlagen und ein Moralverlust; die Mannschaft zog sich zurück. Zuletzt meldete sich Victoria Mennrath aus der Kreisliga mangels Spielerinnen ab.

Fehlender Nachwuchs, Mannschaften, die sich zurückziehen, diese Probleme hat der Frauenfußball keinesfalls exklusiv – wo allerdings vorher wenig Substanz vorhanden war, da sind unweigerlich die Auswirkungen größer. Dazu fehlt es an Trainern. Das sei zwar überall der Fall, sagt Schendzielorz, aber zusätzlich bekäme der Frauenfußball „oft nicht die besten Trainer, da bei den Herren mehr Geld zu verdienen ist. Das Geld können wir nicht in die Hand nehmen. Uns fehlen die Sponsoren.“

All diese Hürden stehen schon länger im Weg. Ob die EM in dieser Hinsicht etwas bewirken kann, da sind die Vereine skeptisch. Denn der Deutsche Fußball-Bund (DFB), um im Bild zu bleiben, habe den Ball nach der erfolgreichen EM nicht aufgenommen, er hat ihn vorbeirollen lassen – zumindest nach Ansicht der Amateurvereine.

Heike Scheibe aus Neuwerk suchte den direkten Kontakt zum DFB. Ob nun etwas geplant sei nach der EM, beispielsweise ein Besuch von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in der Region. Sie käme ja aus der Nähe. Das würde sicher Eindruck machen bei vielen Mädchen. Scheibe ist das Thema wichtig: Sportfeste an Grundschulen, Kontakte zu Sportlehrern, Schnuppertage und Aushänge, sie unternimmt viel, um Mädchen für den Fußball zu begeistern. Da würde etwas Hilfe von oben guttun. Sie schrieb dem DFB über ein Kontaktformular, eine Antwort bekam sie nicht.

 Heike Scheibe, Frauen-Abteilungsleiterin Sportfreunde Neuwerk.

Heike Scheibe, Frauen-Abteilungsleiterin Sportfreunde Neuwerk.

Foto: Anika Reckeweg

Im August hatte der DFB mit seinen Landesverbänden eine Umfrage zum Frauenfußball im Amateurbereich und den Effekten der EM in Auftrag gegeben. Darin bezeichneten nur 28 Prozent der rund 4300 Teilnehmer das Engagement des DFB als „gut“ oder „sehr gut“ – 22,9 Prozent vergaben die Bewertung „mangelhaft“. Hingegen gaben 83 Prozent an, dass die Nationalspielerinnen als Vorbilder taugen, um Mädchen für den Fußball zu begeistern. Für Patrick Arand, Trainer von Mittelrheinligist Sportfreunde Uevekoven, ist es daher eine verpasste Chance: „Das war eine coole Mannschaft mit jungen Leistungsträgern. Die hatten ein Image, ein Standing, das hätte man mehr nutzen müssen.“ Clara Elsholz als aktive Spielerin sieht das ähnlich: „Man hätte die Euphorie mehr mitnehmen müssen. Das Potenzial war vorhanden, es hätte irgendwas passieren müssen: Kampagnen, Nähe, um die Mädels abzuholen und das Interesse bei denen zu wecken, die noch nicht so drin sind.“

Der DFB hätte allerdings nicht nur durch die hohe Popularität der Spielerinnen mehr bewirken, sondern ebenso Impulse für die Vereine setzen können, sagt Mennraths Vorsitzender Wolfgang Platen. „Es hätte Aktionen geben müssen, die spürbar bei den Vereinen ankommen: Flyer, Anleitungen, wie man Frauenmannschaft nach vorne bringen kann. An der Basis ist aber nichts angekommen.“ In der DFB-Umfrage waren Bezuschussung von Trainerkursen, Imagekampagnen oder die Einbindung von Nationalspielerinnen oft genannte Maßnahmen, die sich die Teilnehmer zur Stärkung des Frauenfußballs wünschten.

Eine neue Frauenmannschaft gibt es zu dieser Saison beim 1. FC Viersen. 23 Spielerinnen bekam der Verein für die erste Mannschaft in der Kreisliga zusammen, außerdem gibt es eine U17. Trainerin bei den Seniorinnen ist Sylvia Westendorp. Sie sieht neben den Verbänden auch die Vereine in der Verantwortung: „Durch die EM ist Frauenfußball präsenter geworden, die Vereine sind nun in der Pflicht, das fortzuführen, zu zeigen, dass die Frauenmannschaft dem Verein etwas wert ist“, sagt Westendorp. Diese Wertschätzung sei jedoch nicht überall groß. Sie erlebte es bei früheren Stationen, bei denen sie selbst die Sponsoren und Trikotsätze besorgen musste. „Es fehlten Trikots und Trainingsanzüge, während die erste Herrenmannschaft wie aus dem Ei gepellt aussah“, sagt sie. In Viersen gebe es nun Trikotsätze, Socken, selbst eine Auswechseltafel stehe ihrer Mannschaft zur Verfügung. Dazu ausreichend Bälle. Kleinigkeiten. Aber offenbar nicht überall selbstverständlich.

Marco Ketelaer, Trainer des FV Mönchengladbach.

Marco Ketelaer, Trainer des FV Mönchengladbach.

Foto: Heiko van der Velden

Das Thema der fehlenden Wertschätzung ist für Roland Schendzielorz vom FV ein Grund, weshalb nicht mehr Vereine in der Region eine Frauenabteilung haben. „Die Stimmung, die ich in der Region mitbekomme, ist, dass der Frauenfußball nicht überall hoch im Kurs steht“, sagt er. Dabei stellt kaum jemand infrage, dass die erste Männermannschaft zumeist das Aushängeschild in den Vereinen ist. „Die erste oder zweite Mannschaft der Herren bringt einfach mehr Einnahmen als das Frauenteam. Dafür habe ich Verständnis“, sagt beispielsweise Patrick Arand. Und gewiss sind die Frauenabteilungen in vielen Vereinen gut integriert, beispielsweise in Neuwerk, Hardt oder Liedberg. Doch anderorts mangelt es an Trainingszeiten, Ausstattung, Betreuern.

Wie ein Umdenken bewirkt werden kann? Für den Fußballverband Niederrhein muss der „Impuls“, eine Frauenabteilung zu gründen, „von den Vereinen selbst kommen“. Man stehe aber für Hilfestellungen bereit. Zudem biete der Verband spezielle Lehrgänge für Trainer an, die sich im Mädchen- oder Frauenbereich engagieren wollen. Fehlende Trainer seien eines der größten Probleme, sagt der Verband.

Direkt dahinter kommt eine strukturelle Hürde: Es fehlt in der Region an Plätzen. „Wir sind ein kleiner Kreis mit sehr vielen Vereinen auf geringer Fläche. Viele Anlagen sind ausgelastet, das schränkt die Möglichkeiten ein“, sagte vor einem Jahr die damalige Vorsitzende des Fußballkreises Mönchengladbach-Viersen, Yvonne Cremer. Ihr Nachfolger, Tim Stettner, sieht den Engpass ebenfalls, nimmt bei den Trainingszeiten aber auch die Vereine in die Pflicht: „Wenn es Kapazitätsprobleme für die Mannschaften gibt, muss der Verein das lösen. In gut geführten Vereinen wird das weggemanagt, in anderen führt das zu Ärger.“

Stettner verfolgt künftig ambitionierte Ziele für den Kreis und möchte in den kommenden Jahren eine eigene Kreisligastaffel für die Frauen etablieren. „Da wollen wir wieder hinkommen. Und ich halte es für ein erreichbares Ziel“, sagt Stettner. Für den Frauenfußball wäre das ein großer Sprung, allerdings einer, der aktuell viel Anlauf benötigt. „Dafür sind viele Gespräche zu führen. Ich halte die Botschaft aber für wichtig. Die Vereine müssen aber auch mitmachen“, sagt Stettner.

Vor rund zehn Jahren gab es schon einmal eine Kreisligastaffel für Frauen. Zu jener Zeit fand die Frauen-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland statt, einige Spiele wurden im Borussia-Park ausgetragen. Davon profitierte der Sport. Auf einen ähnlichen Aufschwung dürfte die Stadt Mönchengladbach mit ihrer Bewerbung als Spielort für die Frauen-WM 2027 gehofft haben – doch stattdessen bekamen Duisburg, Dortmund, Düsseldorf und Köln den Zuschlag vom DFB.

Für Marco Ketelaer, Trainer des Regionalligisten FV Mönchengladbach, ein Denkzettel: „Aus meiner Sicht ist es ein Zeichen des DFB in Richtung Stadt und Borussia, dass das Engagement, was den Frauenfußball betrifft, in den vergangenen Jahren noch nicht ausgereicht hat.“ Der DFB kritisierte unter anderem, dass die spielhöchsten Mannschaften aus Mönchengladbach aktuell nur der drittklassigen Regionalliga angehören. Dadurch „erhalten Frauen im Fußball bisher wenig mediale Aufmerksamkeit“, argumentierte der DFB.

In der Regionalliga spielt inzwischen auch das Frauenteam von Borussia Mönchengladbach, nach dem die Mannschaft zwischen 2016 und 2019 zur 1. Bundesliga gehörte. Was auffällt: Schaut man auf die Vereine, die in der Bundesliga der Männer spielen und die eine langjährige Frauenabteilung haben, dann spielen deren Frauenteams zumeist auch erst- oder zweitklassig – Borussia ist eine der wenigen Ausnahmen. Der Region fehlt damit ein Aushängeschild.

Zur Förderung des Frauenfußballs teilt der Verein mit, es sei das Ziel, „unsere erste Frauenmannschaft regelmäßig mit vielen Eigengewächsen zu verstärken und diese Spielerinnen hierdurch in ihrer Entwicklung zu fördern und gegebenenfalls für höherklassige Mannschaften auszubilden.“ Mittelfristig sei die Rückkehr in die 2. Bundesliga geplant. Borussia sieht sich, trotz des Profi-Umfelds, das nur wenige Vereine haben, im Frauenbereich offenbar aber eher als Ausbildungsverein.

Die Europameisterschaft war ein Hochglanzprodukt. Sie lebte hierzulande auch vom Momentum des Großereignisses und den Auftritten der deutschen Mannschaft. Die Realität auf der Bezirkssportanlage kann da nicht mithalten. Die Frauen-Bundesliga erlebte zuletzt einen Besucherrekord mit 23.000 beim Eröffnungsspiel, am vergangenen Freitag verfolgten 25.000 Zuschauer in Dresden das Spiel der Nationalmannschaft gegen Frankreich.

Das Interesse ist nicht verflacht – es kommt nur nicht überall an. Bleibt die Aufmerksamkeit für die Bundesliga und das Nationalteam bestehen, kann womöglich der Amateursport irgendwann profitieren – bislang hat die EM dort aber kaum Impulse gesetzt. Vieles bleibt bei den Vereinen hängen, deren Engagement allerdings Grenzen hat. „Die Frauen-Bundesliga nach vorne zu bringen, das ist ja schön und gut. Aber über die Arbeit an der Basis, darüber wird gar nicht gesprochen“, sagt Heike Scheibe.

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