Ein Leben für den Amateurfußball - drei Fans und ihre Leidenschaft „Ich wohne in Wickrath, für wen soll ich sonst sein?“

Fußball · Der Fußball schreibt die schönsten Geschichten – und die besten entstehen Sonntag für Sonntag auf den Sportplätzen der Amateurvereine. Da basteln Fans Banner, reisen ihren Klubs zu jedem Auswärtsspiel hinterher oder verlassen für den Heimatverein schon mal frühzeitig eine Fußball-WM. Drei Fans von Amateurvereinen sprechen über ihre Leidenschaft.

 Janik Zimdahl gestaltete ein 7,5 mal 1,5 Meter großes Banner für den TuS Wickrath und hing es unbemerkt über Nacht am Sportplatz auf.

Janik Zimdahl gestaltete ein 7,5 mal 1,5 Meter großes Banner für den TuS Wickrath und hing es unbemerkt über Nacht am Sportplatz auf.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Janik ZimdahlTuS Wickrath

 Das Banner von Janik Zimdahl beim TuS Wickrath.

Das Banner von Janik Zimdahl beim TuS Wickrath.

Foto: Ja/Knappe, Joerg (jkn)

Wer war das? Diese Frage wanderte im September durch die Zuschauergruppen auf der Bezirkssportanlage in Wickrath. Das Pokalspiel des TuS gegen den 1. FC Mönchengladbach stand an, neben dem Geschehen auf dem Platz richteten sich viele Blicke jedoch auf ein 7,5 mal 1,5 Meter großes Banner, das am Gitter über dem Tor hing. Darauf zu sehen: das Logo des Vereins, der Schriftzug TuS Wickrath und der Löwe als Erkennungszeichen des Klubs. Niemand wusste, wer es dort über Nacht hingehangen hatte. Auch der Verein nicht. Janik Zimdahl war an diesem Tag auch am Platz, merkte, die Leute reden über das Banner. Zu erkennen gab er sich noch nicht. Die Überraschung war ihm aber geglückt.

Der heute 17-Jährige spielte selbst bis 2019 viele Jahre in der Jugend des Vereins, musste sich nach einer Corona-Erkrankung allerdings vom Sport zurückziehen. Im Anschluss brach der Kontakt kurzzeitig ab, ehe Zimdahl eher zufällig sonntags mal wieder am Platz vorbeikam – und aus alter Verbundenheit ein Spiel der ersten Mannschaft ansah. Die Aufstiegssaison des TuS Wickrath in der Kreisliga A nahm damals gerade Fahrt auf, die Euphorie nahm langsam zu. Auch Zimdahl packte das. Also schaute er nun regelmäßig nach den Spielterminen der ersten Mannschaft, kam zum Platz und feierte am Spielfeldrand die Siege und später den Aufstieg in die Bezirksliga. Was ihm allerdings immer auffiel: Dem Sportplatz fehlt ein Hingucker.

Zimdahl ist in seiner Freizeit künstlerisch unterwegs, gestaltet gerne und begleitete schon diverse Graffiti-Projekte in der Stadt. Also besorgte er sich Stoff und Farbe, entwarf eine Vorlage und verbrachte mehrere Sommerabende auf einem Garagendach und gestaltete mit seiner Freundin das Wickrath-Banner. In der Nacht vor dem Pokalspiel schlichen sich beide dann mit Kabelbinder und Klammern aufs Vereinsgelände, Zimdahl kletterte das Gitter hoch und befestigte das Banner über dem Tor. Dazu gab es noch einen Brief an die Mannschaft: „Auf eine erfolgreiche Saison“, gezeichnet „ein unauffälliger Fan.“ Der Brief hängt nun im Vereinsheim, das Banner immer noch am Sportplatz. Denn beim TuS sind sie alle begeistert über das Stoffstück.

„Ich wohne in Wickrath, für wen soll ich sonst sein, wenn nicht für den Verein im Dorf“, sagt Zimdahl zu seiner Aktion. Irgendwann gab er sich dann zu erkennen – und es hat ihm „Türen im Verein geöffnet“, wie er sagt. Denn inzwischen ist er mittendrin, als Fotograf bei Heim- und Auswärtsspielen. Dazu betreut er die Aktivitäten der ersten Mannschaft in den sozialen Netzwerken. Mehr geht als junger Fan kaum.

Wolfgang Hilgers – 1. FC Viersen

Mit 15 bis 20 Fans reist die Gruppe um Wolfang Hilgers und Herbert Giebels zu jedem Heim- und Auswärtsspiel des 1. FC Viersen, Mit dabei sind seit einigen Jahren auch stets die Zaunfahnen der Fangruppe.

Mit 15 bis 20 Fans reist die Gruppe um Wolfang Hilgers und Herbert Giebels zu jedem Heim- und Auswärtsspiel des 1. FC Viersen, Mit dabei sind seit einigen Jahren auch stets die Zaunfahnen der Fangruppe.

Foto: Heiko van der Velden

Eigentlich hatte er den 1. FC Viersen mit der Zeit schon ein wenig aus den Augen verloren. Spätestens seit seinem Umzug nach Tönisvorst verfolgte Wolfgang Hilgers das Geschehen am Hohen Busch vornehmlich nur noch aus der Ferne – durch die Medien. Dabei ist er in den 1980er-Jahren, als der 1. FC Viersen in der Amateuroberliga Nordrhein an den Start ging, ein glühender Anhänger gewesen: „Ich bin mit meinen 15, 16 Jahren damals aus Dülken mit dem Fahrrad zu jedem Heimspiel gefahren“, erinnert sich Hilgers. „Und auch auswärts habe ich die ein oder andere Tour mit dem Bus mitgemacht. Man kann sagen: Da ist meine Liebe zum 1. FC Viersen entstanden.“ Vierstellige Zuschauerzahlen, Spiele gegen Rot-Weiss Essen, den Wuppertaler SV oder den MSV Duisburg. Es waren andere Zeiten – das erwähnt der heute 55-Jährige immer wieder.

Es folgte sein Umzug nach Tönisvorst und eine „zwischenzeitliche Pause“ – so nennt Hilgers die Zeit, in der er nicht regelmäßig am Hohen Busch vor Ort war. Doch mit seiner Rückkehr in die Heimat nach Dülken kehrte Wolfgang Hilgers Anfang des Jahrtausends auch zu seinem 1. FC Viersen zurück. „Ich habe mir damals gesagt. Du wohnst jetzt wieder in Dülken, ganz in der Nähe vom Hohen Busch. Jetzt gehst du da einfach mal wieder hin“, sagt Hilgers. Also pilgerte er alleine zu einem Spiel des 1. FC Viersen und merkte vor Ort, wieso er schon als Jugendlicher so oft dort war: Es ist die Liebe zum Amateurfußball. Mit der Zeit trifft Wolfgang Hilgers auf neue Leute am Platz, andere fußballverrückte Fans, die es mit dem 1. FC Viersen halten. Einige, wie Herbert Giebels, kannte er noch aus den 80er-Jahren, andere lernt er neu kennen. So entstand mit der Zeit eine verschworene und gefestigte Gruppe aus etwa 20 Fans, die den heutigen Landesligisten zu jedem Spiel begleiten – egal ob in der Meisterschaft oder bei einem Testspiel in der Vorbereitung, sowohl heim als auch auswärts.

Wie es sich für eine fußballverrückte Gruppe gehört, hat der Viersener Anhang bei den Spielen auch stets einige Zaunfahnen dabei, die zu jeder Partie an den Zuschauerbanden befestigt werden. „Dülken grüßt den 1. FC Viersen“, steht auf einer geschrieben. „Die Zaunfahnen haben wir seit etwa drei Jahren dabei. Und das kommt auch bei der Mannschaft super an“, erklärt Hilgers, der gemeinsam mit den anderen Fans der Gruppe ein gutes Verhältnis zum Team von Kemal Kuc habe. „Anders als bei den Profis ist das hier auf Kumpelbasis.“

Sowieso würde Hilgers der Profifußball nur noch am Rande interessieren. Er sei zwar noch Fan von Werder Bremen, verfolge die Bundesliga aber nicht mehr aktiv. Zu viel Kommerz, zu wenig Fannähe. „Da verbringe ich meine Zeit lieber beim 1. FC Viersen am Hohen Busch. Das ist schöner und sinnvoller. Hier kennt jeder jeden und die Atmosphäre ist super“, so der 55-Jährige, der bei seinem Herzensverein mittlerweile sogar als Stadionsprecher fungiert.

Alex Bauer – SV Brachelen

 27 Jahre am Stück verpasste Alex Bauer nicht ein Spiel seines Heimatvereins SV Brachelen – kein Meisterschaftsspiel, kein Pokalspiel, kein Freundschaftsspiel und auch kein Turnierspiel – egal ob draußen oder in der Halle.

27 Jahre am Stück verpasste Alex Bauer nicht ein Spiel seines Heimatvereins SV Brachelen – kein Meisterschaftsspiel, kein Pokalspiel, kein Freundschaftsspiel und auch kein Turnierspiel – egal ob draußen oder in der Halle.

Foto: Laaser, Jürgen (jl)

Alex Bauer muss nicht lange überlegen, wenn er nach dem größten Tag in seinem Fußballfan-Dasein gefragt wird: „Das ist und bleibt der 25. Mai 2008. Da hat mein SV Brachelen daheim 0:0 gegen den SV Schwanenberg gespielt und ist in die Bezirksliga aufgestiegen. Was danach im Ort los war, ist einfach unbeschreiblich. Das war nicht nur mein schönster Tag als Fußballfan, sondern auch generell der schönste Tag in meinem Leben.“

Das sagt der 43-Jährige so trocken, dass man ihm einfach glauben muss. Zu ihm passen würde es auf alle Fälle. Denn der gebürtige Brachelener ist ein ganz besonderer Fußballverrückter. Bundesweiter Bekanntheit erfreut sich sein schwarzes Brachelen-Banner, das er bei jedem Spiel der deutschen Nationalmannschaft in den Stadien der Welt rund um den Globus aufhängt. Noch mehr als die deutsche Auswahlmannschaft hat es ihm aber Borussia Mönchengladbach angetan. Auch bei sämtlichen Spielen der Fohlen ist das Brachelen-Banner im Stadion präsent – und Alex Bauer selbst natürlich auch.

Und bei seinem heißgeliebten Heimatverein blickt Bauer, der dort auch als Betreuer fungiert, auf eine geradezu unglaubliche Serie zurück: Sage und schreibe 27 Jahre am Stück, von 1990 bis 2017, hat Bauer kein einziges Spiel des SV Brachelen verpasst – kein Meisterschaftsspiel, kein Pokalspiel, kein Freundschaftsspiel, kein Turnierspiel – egal ob draußen oder in der Halle.

Kuriose Blüten trieb das im Sommer 2010. Da weilte er bei der WM in Südafrika, doch nach dem Achtelfinalsieg der deutschen Elf gegen England war für ihn dort Schluss, er reiste zurück in die Heimat. Nicht etwa, weil ihm das Geld ausgegangen wäre. Der Grund war ein anderer: Wenige Tage nach diesem Spiel trug Brachelen anlässlich seines 100-jährigen Bestehens ein Freundschaftsspiel gegen Alemannia Aachen aus – da konnte und wollte Bauer nicht fehlen, verzichtete dafür auf die weitere WM. „In Brachelen gab es vorher am Platz auch noch einiges zu tun – da musste ich einfach dabei sein.“

Bauers Serie riss am 15. Oktober 2017 – da gab er zum ersten Mal einem Borussia-Spiel (der VfL kickte an dem Tag in Bremen) den Vorzug. „Mit dem damaligen Brachelener Trainer verstand ich mich nicht so gut. Da ist mir diese Entscheidung nicht ganz so schwer gefallen.“

Der damalige Trainer ist in Brachelen längst Geschichte, und Bauer ist weiterhin bei jedem Brachelener Spiel dabei – wenn nicht eben Borussia spielt. Dabei guckt er sich beileibe nicht nur die Erste Mannschaft an – ebenso die Reserve und sämtliche Jugendteams. „Der SV Brachelen ist meine Heimat, mein Verein, und die Kameradschaft gehört da einfach dazu. Schon im Kinderwagen hat mich mein Vater hier zum Sportplatz gebracht.“

Aktuell spielt der SVB in der Kreisliga B, peilt unter dem neuen Spielertrainer Danny Fäuster, einem langjährigen Freund Bauers, den Aufstieg in die A-Liga an. „Wenn der nicht in dieser Saison klappt, dann eben in der nächsten. Es macht auf alle Fälle weiterhin richtig Spaß, zumal der Großteil des Teams Brachelener Jungs sind.“

Aber nicht nur Brachelen, Borussia und die Nationalmannschaft: Bauer besucht auch ansonsten massig Spiele – von der WM bis zur Kreisliga D, quasi täglich. Darüber führt er penibel Buch. So besuchte er noch am Dienstagabend das belgische Pokalspiel zwischen Royale Union Saint-Gilloise und KV Oost­ende. Das war sein sage und schreibe 324. (!) Spiel in diesem Jahr, das er live in einem Stadion oder auf einem Sportplatz besucht hat – macht im Schnitt also fast ein Spiel pro Tag. Insgesamt steht er bei 5086 Spielen in 47 Ländern, wofür er 839 Stadien oder Sportplätze besucht hat.

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