Serie Gladbacher Lesebuch (46) Unterwegs in der Altstadt der 1960er-Jahre

Gladbach · Die Autorin erinnert sich an die Budike und andere Orte, die von Jugendlichen gerne besucht wurden.

 Sankt Martin 1965. Nach dem Umzug traf sich die Jugend in den Clubs der Altstadt.

Sankt Martin 1965. Nach dem Umzug traf sich die Jugend in den Clubs der Altstadt.

Foto: Regine Horstmann

Eigentlich könnte ich einen ganzen Roman über meine Erinnerungen an meine Jugend in Gladbach schreiben. Als erstes fällt mir die Kneipe „Zum Fritz“ ein. Wo genau das war, weiß ich nicht mehr, aber für 1 DM oder noch weniger gab es ein Schwarzbrot, belegt mit einer dicken Scheibe Käse und einer Salzstange, und wir konnten stundenlang flippern. Als ich etwa 16 Jahre alt war, haben meine Freunde die kleine Budike an der Friedensstraße für uns entdeckt. Dort war es so gemütlich, man konnte stöbern, lesen, Kaffee trinken und Musik hören. Da wir nur wenig Geld hatten und unbedingt eine Platte von Odetta haben wollten, haben wir uns die Summe geteilt. Einen Monat durfte Doris die Platte haben, den nächsten Monat war ich an der Reihe. Die Platte habe ich übrigens noch immer. Im November 1965 zogen wir mit Inventar und Klavier über die Hindenburgstraße zum „Alten Markt“.

Es gibt ganz viele Erinnerungen an die Events, damals sagte man noch Veranstaltung, die Alex organisiert hat. Oder Peer Kroll, der Initiator von der „Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck“ mit zum Beispiel Reinhard Mey, Degenhardt, Schobert und Black, Hai und Topsy, Colin Wilkie und Shirley Hart, John Pearse, Hüsch oder Odetta, um nur einige zu nennen. Colin und John hatten eines Abends Doris und mich gebeten, die Refrains zu tippen, damit alle bei „Whisky in the jar“ mitsingen konnten. Wir haben den ganzen Nachmittag getippt und kamen uns besonders toll vor. John hat mir dann noch eine Platte für Gitarrenunterricht geschenkt, die habe ich dann weiter gegeben und einem Peter eine Freude gemacht. Da meine Mutter für das Gericht arbeitete, sagte sie mir immer, wann eine Abordnung vom Jugendamt Kontrollen durchführt. So konnte ich Alex warnen. Wenn dann drei oder vier Menschen in Anzügen und Kostümen kamen, wurden sie von Alex nach der Musik ganz freundlich angesagt, während ich mich mit ein paar anderen Freunden, die auch noch keine 18 Jahre alt waren, in den verwinkelten Räumen der Budike versteckte, um später wieder weiter zu feiern.

Ich erinnere mich auch noch an die St. Martinsumzüge durch die Innenstadt. Natürlich trafen wir uns anschließend in der Budike. Unser Eiscafe Venezia war an der Hindenburgstraße. Die süße Kellnerin hieß Gabriella. Wir hatten noch lange Kontakt, da lebte sie in Livorno und ich schon in Lübeck. Im gemütlichen Kabuff konnte man super und günstig essen. Café Heinemann besuchten wir oft und Tchibo war unser zweites Zuhause. Vor der Schule oder Arbeit, in den Pausen und nach Feierabend traf man immer Leute. Man brauchte auch nur die Hindenburgstraße rauf und runter gehen, um Freunde zu treffen. Natürlich war am Wochenende irgendwo eine Fete, wo wir eingeladen waren und gefeiert haben. Die „Roaring Stags“ oder die „Wallflowers“ spielten oft in Rheindahlen bei Hempels. Wenn wir die Kasse machten, durften wir umsonst die Musik hören. Das war günstig für mich, weil die Schillinge bei den Stags meine Nachbarn waren und Peter der Bruder meiner Freundin Doris. Und im „Bügeleisen“ trafen wir uns auch oft, am liebsten wenn die „Mr. Felix Brass“ spielten.

Da ich ja noch keine 18 Jahre alt war, musste ich spätestens um 22 Uhr zu Hause sein, aber wenn es dann besonders toll war, hat irgendein älterer Freund bei uns angerufen und gesagt: „Ach Frau Mittmann, kann Regine nicht noch was länger bleiben, wir fahren sie dann auch nach Hause“. Na, manchmal hat das auch geklappt. Ganz besonders gerne erinnere ich mich an unseren „Pressefotografen“ Hans Dietzel, der die schönsten Bilder geschossen hat. Und ohne seine Fotos wären so manche Erinnerungen nicht mehr da gewesen.

 Das Foto entstand am 2. April 1966. Es zeigt die Autorin (3. v.l.) und einige ihrer Freunde. Damals hörte man viel Musik.

Das Foto entstand am 2. April 1966. Es zeigt die Autorin (3. v.l.) und einige ihrer Freunde. Damals hörte man viel Musik.

Foto: Regine Horstmann
 Die Autorin bei einer Fete 1966. Damals gab es viele Orte in der Gladbacher Altstadt, an denen sich die Jugend gerne traf.

Die Autorin bei einer Fete 1966. Damals gab es viele Orte in der Gladbacher Altstadt, an denen sich die Jugend gerne traf.

Foto: Regine Horstmann

Ich kann mich nicht an Schlägereien, Diskriminierungen, Mobbing oder Unterschiede zwischen Kindern wohlhabender Eltern oder der Mittelschicht erinnern. Und obwohl auch damals schon gelegentlich Drogen konsumiert wurden, sind uns nie welche angeboten worden. Es war einfach eine geile Zeit.

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