Interview Scientology ist nur die Spitze des Eisbergs

Mönchengladbach · Herbert Busch von der Beratungsstelle für Religions- und Weltanschauungsfragen spricht über den Fall einer Zahnärztin, die fragwürdiges Material an Schulen und Kindergärten schickte. Und er sagt, wie verbreitet die Sekte in Mönchengladbach ist.

 Ein Auszug aus der Scientology-nahen "Kent-Depesche", die Schulen und Kindergärten vor einigen Wochen von einer Zahnärztin geschickt bekamen. Sektenexperte Herbert Busch nimmt im Interview dazu Stellung.

Ein Auszug aus der Scientology-nahen "Kent-Depesche", die Schulen und Kindergärten vor einigen Wochen von einer Zahnärztin geschickt bekamen. Sektenexperte Herbert Busch nimmt im Interview dazu Stellung.

Foto: Archiv, Detlef Ilgner

Eine Mönchengladbacher Zahnärztin hat Scientology-nahes Material an Kindergärten und Schulen geschickt. Strafrechtlich relevant ist das nicht, die Sekte ist nicht verboten. Aber fragwürdig erscheint es doch. Wie bewerten Sie diesen Vorgang?

Herbert Busch Ich kenne die Ärztin nicht persönlich. Aber es scheint, als nutze hier jemand seinen eigenen gesellschaftlichen Status und seine Position, um gesellschaftlichen Einfluss zu nehmen. Denn wir sind alle wissenschafts- und titelgläubig. Wenn Lieschen Müller etwas macht, hört keiner hin, aber bei Professor Doktor Lieschen Müller wird jeder hellhörig. Dabei ist festzuhalten, dass mit einer medizinischen Qualifizierung nicht automatisch eine sozialpädagogische oder sozial-politische Qualifizierung einhergeht.

Und die Inhalte des Anschreibens?

Busch Die Absenderin bedient sich unterschiedlicher Quellen. Die Inhalte des Schreibens sind zum Teil ultrakonservativ, zum Teil rechtes Gedankengut, zum Teil eine krude und eigenartige Abwehrbewegung gegen eine vermeintliche frühkindliche Sexualisierung, die ich im Übrigen keineswegs beobachte — und meine Frau trägt Verantwortung in einem Kindergarten, meine Tochter ist Sozialpädagogin. Es wird hier aber mit diffusen Ängsten gespielt, denn natürlich sind das Themen, die ein gewisses Unbehagen bereiten — und das ist perfide. Zu beobachten ist in diesem Schreiben aber auch eine Art "Widerstand bedrohter Eliten". Bei der Ärzteschaft macht sich, wie auch beim Adel, gelegentlich das Gefühl breit, seine Pfründe verteidigen zu müssen.

Die Ärztin setzt sich laut eigener Aussage für die Anti-Psychiatrie-Bewegung ein und agiert im Namen einer "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte", kurz KVPM. Diese wird vom NRW-Verfassungsschutz offen als Neben- beziehungsweise Tarnorganisation von Scientology bezeichnet.

Busch Die Ärztin scheint die Schiene Scientology zu benutzen, um ihre Weltanschauung deutlich zu machen und diese in die Gesellschaft einzuspeisen. Das muss der dahinterstehenden Organisation, in diesem Fall Scientology, übrigens nicht unbedingt gefallen. In der Totalitarismus- und Extremismustheorie jedenfalls ist die Frage "Haben diese Leute recht?" eine nicht zu vernachlässigende Größe — denn selbstverständlich ist in der Psychiatrie nicht alles heile Welt. Ebenso haben ja die Salafisten erst einmal recht, wenn sie auf dem Alten Markt stehen und sagen: Ihr seid eine zunehmend gottlose Gesellschaft. Man muss da immer sehr genau hingucken und analysieren und keine zu einfachen, eindimensionalen Lösungsansätze wählen. Was bedeutet das, wenn die christlichen Werte an Bedeutung verlieren? Wo ist das gut, wo ist das schlecht, was geht uns dadurch vielleicht verloren?

Kam Ihnen die Ärztin im Rahmen Ihrer Beratungen schon einmal unter?

Busch Nein. Aber unser Internetspezialist wird zu diesem Fall jetzt noch eine Tiefenanalyse machen.

Was, glauben Sie, treibt sie an?

Busch Wenn jemand derartige Botschaften transportiert, wird er oft entweder von Verschwörungstheorien getrieben — oder er dramatisiert einen Sachverhalt bewusst, um eine Beeinflussung des Gegenübers vorzunehmen. Gerade Scientology-affinen Menschen sind oft Persönlichkeiten, die gerne Macht über sich und andere haben. Und da bietet es sich an, sich breit aufzustellen.

Wie meinen Sie das?

Busch Es gibt mittlerweile, in Zeiten des Internets, erstaunliche Seil- und Bruderschaften. Wer seine Wertvorstellungen auf andere übertragen will, fischt auch an den Rändern. Deswegen findet sich in diesen Bereichen oft eine Mischung aus Verschwörungstheorien, rechtem Gedankengut, geheimbündlerischen Aktivitäten, Ultrakonservatismus und Widerstandsdenken. Aus unserer Arbeit in Mönchengladbach wissen wir, dass es einen bestimmten Phänotyp Mensch gibt, der zu so etwas neigt.

Welchen Umfang nimmt die Scientology-Beratung in Ihrer Arbeit ein?

Busch Vielleicht ein, zwei Prozent. Das sind aufs Jahr gesehen fünf, sechs Fälle. Fundamentalistische Gruppierungen haben mit 30 Prozent einen ungleich größeren Anteil.

Wie weit ist Scientology denn in Mönchengladbach verbreitet?

Busch Gehen Sie mal davon aus, dass scientologisches Gedankengut in jeder Großstadt vorhanden ist, sowohl im Betrieb als auch über Einzelpersonen. Und Mönchengladbach ist eine Großstadt. Man darf aber nicht vergessen, dass es eine Vielzahl von Gruppen ähnlicher Natur mit einem totalitären Anspruch gibt, die sich als nicht minder gefährlich erweisen könnten. Scientology ist nur die Spitze des Eisbergs.

Aber, ganz platt gesagt: Es ist nicht jeder Arzt, der die von einem Scientologen erfundene Bioresonanztherapie anbietet, auch automatisch ein Scientologe.

Busch Auf keinen Fall. Hinter derartigen Angeboten steckt in erster Linie mal ein gutes kaufmännisches Interesse. Die Frage ist immer: Wie viel Weltanschauung ist mit solchen Dingen verbunden? Wenn die Pfarre XY einen Yogakurs anbietet, macht das erst mal nur gelenkiger. Wenn der Kursleiter aber als spiritueller Guru auftritt und eine gewisse weltanschauliche Intensität überschritten wird, wird es schnell problematisch.

Medienberichten zufolge will das Bundesamt für Verfassungsschutz die Beobachtung von Scientology auf ein Minimum zurückfahren. Die Bedeutung der Sekte nehme ab. Halten Sie das für vertretbar?

Busch Einerseits ist es nachvollziehbar, dass dieses Problem angesichts in Syrien sterbender Salafisten aus NRW mittlerweile einen niedrigeren Stellenwert hat. Andererseits gilt: Mag die Zahl der von Scientology Betroffenen im Vergleich zu anderen Organisationen auch verschwindend gering sein — die Einzelnen, die dadurch sich oder die Beziehung zu ihrem Umfeld zerstören, sind für immer gezeichnet. Wenn eine Gruppe aus nur fünf Personen besteht und sich alle auf Geheiß des Anführers umbringen, sind trotzdem fünf Menschen tot.

Man kann also keineswegs Entwarnung geben.

Busch Nein. Gerade, weil sich die Zugänge von Scientology ändern: über Jugendarbeit, Nachhilfeunterricht, das Internet. Die Sache kann genauso schnell kippen wie seinerzeit bei Pierre Vogel und Sven Lau, zumal derartige Gruppen immer genau am Rand des verfassungsrechtlich Erlaubten agieren. Und dem entgegenzuwirken, das können wir als Beratungsstellen nicht erfüllen. Es ist nicht unser Auftrag, V- oder Ermittlungsarbeit zu leisten, sondern aufzuklären und Menschen in religiösen und weltanschaulichen Konflikten beizustehen.

JAN SCHNETTLER FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(RP)
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