Mönchengladbach Schüler bringen NS-Grauen auf die Bühne

Mönchengladbach · In dem Theaterstück "Die Kinder von Waldniel" befassen sich die Schüler des Maria-Lenßen-Berufskollegs mit den Verbrechen im nationalsozialistischen Deutschland. Mit ihrem Schauspiel zeigen sie auch Parallelen zur Gegenwart auf.

 Die erste Szene der Theatercollage: Die Schüler wechseln ständig die Plätze und gestikulieren dabei. Anschließend tragen sie Textpassagen vor.

Die erste Szene der Theatercollage: Die Schüler wechseln ständig die Plätze und gestikulieren dabei. Anschließend tragen sie Textpassagen vor.

Foto: Isabella Raupold

Im Hintergrund ertönt leise Musik. Die Jugendlichen sitzen auf Stühlen, wahllos im Raum verteilt. Plötzlich erheben sie sich, laufen umher und wechseln die Plätze. Einige gestikulieren, andere schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. Die Gesichter: traurig, nachdenklich, einige mit verängstigter Miene. Dann verstummt die Musik. Die Schüler tragen Textpassagen vor. Es geht um "das Vergangene, auch wenn es schon 76 Jahre her ist". Und es geht darum, zu reifen, "emotional und intellektuell, mit Herz und Verstand". Mit diesen Worten leiten die Schüler des Maria-Lenßen-Berufskollegs ihr Theaterstück ein. Eine Aufführung mit düsterem Thema. In den Geschichtsbüchern steht es unter dem Begriff Kinder-Euthanasie. Dahinter verbirgt sich eines der grausamsten Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus - der Massenmord an geistig und körperlich behinderten Kindern.

Das Thema des Schauspiels - darin sind sich alle Teilnehmer einig - ist ein furchtbares. Doch es hat auch eine historische Verbindung zu Mönchengladbach. Durch die 1939 von den Nazis eingeführte Meldepflicht wurden alle Neugeborenen mit Behinderungen erfasst und ab 1940 in Tötungsanstalten, sogenannte Kinderfachabteilungen, gebracht. Auch in Waldniel-Hostert wurde eine solche Einrichtung geschaffen. Unter Aufsicht des leitenden Arztes Georg Renno wurden dort hunderte behinderte Kinder und Jugendliche untersucht und anschließend ermordet. "Wir wissen, dass es sich für die Schüler um ein sehr schwieriges Kapitel der Geschichte handelt", sagt Crischa Ohlers vom Theater mini-art, das die Jugendlichen bei der Ausarbeitung des Stückes unterstützt. "Aber durch die Schauspielerei können sie sich diesem Thema auf einzigartige Weise nähern. Sie begreifen, wie furchtbar diese Taten waren, aber auch wie wichtig es ist, dass so etwas nie wieder passiert."

Seit zwei Tagen entwickeln die Schüler die Aufführung im BIS - Zentrum für offene Kulturarbeit. Am kommenden Freitag wird das Stück dort um 19 Uhr aufgeführt. "Bis dahin arbeiten wir jeden Tag mehrere Stunden an der Aufführung", sagt Theaterpädagoge Sjef van der Linden. "Wir bringen ihnen das Handwerk bei. Die Inhalte gestalten sie selbst." Unter den 15 Schülern sind Fachabiturienten, Erzieher, auch eine angehende Kleidungstechnische Assistentin. "Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Bildungszweigen", sagt Martina Kupka vom Berufskolleg. "Viele von ihnen haben im Laufe ihrer Ausbildung mit behinderten Menschen gearbeitet. Deshalb ist es wichtig, dass sie von diesen Dingen wissen. Das Theater kann ihnen diese Bildung lebendig vor Augen führen."

Vorbereitet haben sich die Schüler mit Fachliteratur und schriftlichen Quellen aus der Nazi-Zeit. "Daraus entwickeln wir eigene Beiträge für das Stück", erklärt Tobias. Er selbst hat für die Aufführung einen Brief geschrieben, genauer gesagt persönliche Worte des leitenden "Todesarztes" an seine Frau. Darin wird einerseits die Abscheu des Nationalsozialisten vor Kindern mit Behinderungen deutlich, aber auch die Doppelrolle des Täters als liebender Familienvater. "Man muss sich in diese Denkweise hineinversetzen", sagt Tobias. "Nur so kann man nachvollziehen, warum Menschen zu solch abscheulichen Verbrechen fähig waren." Die Lehre, die die Schüler jetzt schon aus ihrem Projekt gezogen haben, sei auch in der Gegenwart noch nicht selbstverständlich. "Auch heute haben noch viele Menschen Angst vor dem Unbekannten", sagt Tobias. "Darunter leiden besonders Behinderte. Wir möchten mit unserer Aufführung erreichen, dass die Leute umdenken und sich daran erinnern, wohin Angst und Vorurteile führen können." Das Medium Theater sei dafür weitaus besser geeignet, als die langen Listen ermordeter Menschen in einem Geschichtsbuch.

Doch wie verarbeiten die Schüler das Gelernte? Und wie fühlt es sich an, selbst in die Rolle der Täter zu schlüpfen? "Der Zugang zu diesem Thema ist sehr direkt und intensiv", sagt die 23-jährige Ayse, die in der Aufführung eine Behinderte spielen wird. "Erst während der Schauspielerei kommen plötzlich die vielen Emotionen in mir hoch". Damit aus den Beiträgen der Schüler ein zusammenhängendes Stück wird, gibt Regisseur Sjef van der Linden Hilfestellung. "Unsere Schauspieler haben alle Freiheiten. Und wir haben großes Glück, dass wir mit 15 hochmotivierten und talentierten Schülern zusammenarbeiten dürfen."

Karten für die Aufführung des Stückes "Die Kinder von Waldniel", die am Freitag um 19 Uhr im Bis-Zentrum, Bismarckstraße 97-99, stattfindet, gibt es unter Telefon 02161 181300. Weitere Infos im Internet unter www.bis-zentrum.de.

(mro)
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